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Die Geheimnisse der Therapeuten

Die Geheimnisse der Therapeuten

Titel: Die Geheimnisse der Therapeuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christophe André
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beteiligten Menschen ausgeht, und da sind einem manchmal die Hände gebunden. In solchen schwierigen Situationen gilt es zu überleben.
    Ich sage mir auch, dass es in meinem Beruf von Vorteil sein kann, unter leichtem Stress zu stehen und eine gewisse Unruhe zu empfinden. Schon andere vor mir haben es gesagt: »Man kann nur das verstehen, was man selbst kennt.«
    Ich erinnere mich an einen Professor während meines Medizinstudiums, einen ausgeprägten Humanisten mit einer guten Prise Humor, der zu uns sagte: »Das einzige Praktikum, das die Universität während des Medizinstudiums nicht anbietet, ist ein Praktikum als Kranker. Das ist sehr schade, denn es würde einige von Ihnen viel lehren.« Behandeln heißt auch Emotionen teilen, verstehen und in sich schwingen lassen, während man gleichzeitig die notwendige Distanz behält.
    Was stresst mich am meisten?
    Wie jeder andere Mensch auch bin ich tagtäglich mit dem Stress an meinem Arbeitsplatz konfrontiert, und das seit langer Zeit. Ich habe bereits schwierige Phasen durchgestanden und werde noch weitere durchstehen. Ich habe mir eine Frage gestellt, die ich mehr oder minder direkt auch meinen Patienten stelle, wenn sie mich aufgrund von beruflichem Stress aufsuchen: Was stresst mich wirklich, und was tue ich dagegen? Ich möchte Ihnen einige Überlegungen und Anekdoten dazu mitteilen.

    Arbeite ich zu viel?
    Ich habe immer gern gearbeitet. Arbeiten beruhigt und entspannt mich, und ich habe das Glück, einen Beruf auszuüben, der mich fasziniert. Ich langweile mich nie, meine Arbeit ist reich an Kontakt mit Menschen, und gleichzeitig sind die Aufgaben, die ich im Laufe einer Woche bewältige, sehr breit gestreut. Mit der Behandlung meiner Patienten, den Seminaren, die ich an der Universität halte, mit den Ausbildungen, Beratungen, Vorträgen, Konferenzen und ein wenig Zeit, die für das Schreiben von Artikeln oder Büchern reserviert ist, sind meine Tage gut ausgefüllt. Und wenn ich weniger arbeiten würde? Was würde ich beispielsweise tun, wenn ich keine Arbeit mehr hätte? Ich glaube, dass sie mir tatsächlich fehlen würde. Nichts mehr zu tun zu haben wäre für mich keine Erholung.
    Ich versuche, mir einen klaren Blick zu bewahren: Arbeit ist nicht alles.
    Ich hoffe, dass die Arbeit keine Therapie ist. Jeder Mensch hat Erwartungen und Werte, die mit seiner Arbeit verbunden sind. Die Arbeit bringt mir zweifellos Anerkennung und Erfüllung, was dazu führt, dass ich manchmal zu viel tue. Der Grat zwischen der Arbeit als Faszination und der Arbeit als Droge ist manchmal schmal. Ich war niemals das, was man einen Workaholic nennt, also ein Arbeitswütiger, der nichts anderes mit sich anzufangen weiß und sich nur für seinen Beruf interessiert, auch wenn dieser einen sehr wichtigen Platz in meinem Leben einnimmt. Ich versuche mir einen klaren Blick zu bewahren: Arbeit ist nicht alles. Ich müsste weniger arbeiten, wenn die Arbeit mich daran hindern würde, das, was ich tue, mit Interesse zu tun, wenn sie mich erschöpfen oder überstrapazieren würde und wenn ich schließlich nicht mehr die Zeit fände, mich meiner Familie zu widmen. Dann müsste ich das Tempo herunterfahren und Abstand von der Arbeit gewinnen, das will ich nicht vergessen.
    Wächst mir der Zeitdruck über den Kopf?
    Wir erleben heutzutage eine Tempobeschleunigung, die zur Folge hat, dass sich die Arbeit schnell anhäuft. Auch ich entkomme ihr nicht. Wie alle Menschen habe ich viele verschiedene Dinge zu erledigen, und es mangelt mir oft an Zeit. Ich habe nicht die Möglichkeit, den wichtigen Dingen im Beruf wie auch im Privatleben so viel Zeit zu widmen, wie ich möchte.
    Die E-Mails häufen sich, neue Anfragen und Aufgaben warten auf mich. Wie alle Menschen erlebe ich die Kehrseite der neuen Technologien. Als ich meine Arbeit im Krankenhaus begann, konnte es dauern, bis man ein einfaches Schreiben erledigt hatte: Man musste es diktieren, ins Sekretariat geben, warten, bis es getippt war, es noch einmal durchlesen, notfalls korrigieren und unterschreiben. Heutzutage kann man eine E-Mail quasi im Handumdrehen verschicken. Dasselbe gilt, wenn man einen Zugang zu wissenschaftlichen Quellen braucht, der mir beim Schreiben und Forschen sehr nützlich ist. Ich erinnere mich, dass ich als Oberarzt einen halben Tag pro Woche nur damit verbrachte, in der Bibliothek Quellenangaben herauszuschreiben,

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