Die Geheimnisse der Therapeuten
begriff, dass bestimmte Menschen nichts gegen mich hatten. Es nützt nichts, eine solche Situation noch schwieriger zu gestalten, indem man sich abkapselt oder eine negative Einstellung gegen andere hegt.
Absorbiere ich alle Ãngste meiner Patienten?
Ich bin für meine Patienten da, vielleicht noch mehr als für meine Familie. Die Patienten äuÃern ihre Angst und ihr inneres Unglück, wenn sie mich aufsuchen. Einigen Menschen ist es manchmal peinlich, ihre Emotionen ungeschminkt zu zeigen, und sie entschuldigen sich sogar, wenn sie sich aufregen oder weinen. Ich erwidere ihnen, dass ich sie verstehe, denn ich weiÃ, was es heiÃt, wenn es einem schlecht geht, und dass es im Ãbrigen mein Beruf ist, ihnen zuzuhören, dafür bin ich da.
Die menschlichen Schwierigkeiten miteinander zu teilen ist â ähnlich wie bei allen Berufen auf dem Gesundheitssektor â einer der Stressfaktoren im Beruf des Psychiaters und kommt zu den Schwierigkeiten hinzu, die den Arbeitszwängen an sich innewohnen. So habe ich eine Frau therapiert, die Krebs hatte und nach mehreren Jahren regelmäÃiger Behandlung verstarb. Sie sagte mir, dass sie ohne die Krankheit nie zu mir gekommen wäre und an unseren Stunden hing, weil sie ihr Halt und ein neues Interesse am Leben gaben. Dennoch hatte ich manchmal den Eindruck, ihr nicht sonderlich helfen zu können. Angesichts der schlechten Nachrichten, der Unsicherheit und ihrer Zweifel fiel es mir zuweilen schwer, Worte zu finden: Ich hörte ihr einfach zu. Nach ihrem Tod erhielt ich einen Brief von ihrem Ehemann, in dem er mir schrieb, wie gut ihr unsere Begegnungen getan hatten, wie sehr sie mich geschätzt hatte und wie viel ich ihr in den letzten Augenblicken gegeben hatte. Dieser Brief befreite mich von vielen Sorgen um meine Patienten aufgrund des friedlichen Gefühls, das er mir vermittelte. Darum geht es wahrscheinlich bei der Empathie. Einfach eine Emotion mit jemandem teilen, ohne zu versuchen, sich in Worte zu flüchten, die unnütz wären. Wer diese menschlichen Schwingungen nicht gibt und empfängt, kann diesen Beruf nicht ausüben. Wenn wir die Ãngste unserer Patienten mit ihnen teilen, bekommen wir von den Patienten auch viel zurück.
Ich kann die Ãngste meiner Patienten in mich aufnehmen, weil viele Menschen mir auch etwas Positives erzählen. Sie sind fröhlich, lachen und erzählen mir amüsante Dinge, die ein Gegengewicht zu ihren negativen Empfindungen bilden. Ich erinnere mich an eine meiner Patientinnen, die viel Humor hatte. Ich gestehe, es fiel mir schwer, ernst zu bleiben, wenn sie mir all ihre kleinen Ungeschicklichkeiten schilderte, die sie ins Lächerliche verkehrte. Einmal sagte sie mir: »Ich habe Sie zum Lachen gebracht, Herr Doktor, da bin ich froh.«
Man muss in der Therapie auch von fröhlichen Dingen sprechen können. Ich versuche so, gewisse negative Schwingungen ins Positive zu verwandeln. Deshalb kann man auch nicht allzu viele Patienten am Tag behandeln, aber das Gleiche gilt auch für andere Berufe, in denen man Zeit mit einem Klienten verbringt. Um zugewandt zu bleiben, muss man die Zeit begrenzen.
Die gute Distanz
Bestimmte Menschen kommunizieren ihre Angst durch ihre Haltung und ihre Worte. Sie hören nicht mehr zu, denn sie haben sich in ihrer angstbesetzten Welt und in dem, was sie beschäftigt, verschanzt. Was ist die beste Haltung? Vielleicht einfach die passende Distanz einzunehmen und gleichzeitig die Gefühle des anderen zu beachten.
Wie ich mich in meiner Arbeit verwirkliche
Um es zu wiederholen: Ich liebe meine Arbeit und habe sie immer geliebt. Ich möchte daher auch von den positiven Werten sprechen, durch die mir meine Arbeit immer noch viel Freude macht. Ich habe die groÃe Chance, meine Arbeit in einem angenehmen Rahmen und mit Menschen, die ich achte und schätze, zu verrichten. Ich arbeite mit einem sehr harmonischen und aufeinander eingespielten Team, dem es gelingt, die berufliche Zusammenarbeit und freundschaftliche Beziehungen unter einen Hut zu bringen. Wenn ich einen Kollegen auf dem Flur lachen höre, wenn mich jemand anlächelt, mich grüÃt und ein Scherz die Runde macht, ist es auch das, was mein berufliches Engagement mit Sinn erfüllt.
Wie ich Psychiater geworden bin
Ich kann nicht sagen, dass ich schon von klein auf Psychiater werden wollte. Bei jedem Schritt auf meinem Weg hat sich die Richtung ganz von selbst
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