Die Geheimnisse der Therapeuten
gestanden habe ich mit der Orthografie immer auf Kriegsfuà gestanden.«
Je nachdem, von wem die Bemerkung kommt, zwinkere ich dem Menschen dabei auch manchmal zu und bringe ihn damit auf Themen zurück, die ihn betreffen, wie den Perfektionismus (ein Thema, das regelmäÃig in der Sprechstunde auftaucht): »Wissen Sie, ich habe schon seit ewigen Zeiten den Gedanken aufgegeben, perfekt sein zu müssen. Ich hatte viel zu viel Arbeit!« Oder auch: »Ich weià nicht, ob Sie diesen einen Satz gelesen haben. Ein Gedanke, der mir besonders gefällt, ist der von Michel Audiard: âºSelig sind die, die Risse haben, denn sie lassen das Licht durch.â¹ Wir haben alle unsere Risse und Schwächen, und jetzt haben Sie den Finger auf eine meiner Schwächen gelegt! Ich zähle darauf, dass Sie mir die Rechtschreibfehler notieren. Ich werde versuchen, sie möglichst bald zu korrigieren â¦Â«
Die Rechtschreibung ist oft ein schmerzbesetztes Thema. Eine ganze Reihe von Patienten haben mir gestanden, dass sie nicht zu schreiben wagen, nicht einmal Ansichtskarten aus dem Urlaub, andere schreiben unleserlich oder streichen durch, wenn sie unsicher sind. Einige weigern sich, sich während einer Konferenz Notizen zu machen, weil sie Angst haben, dass der Nachbar ihre Rechtschreibfehler entdecken könnte. Wenn es gar nicht anders geht, schreiben sie manchmal ganz klein und mit Bleistift, damit ihre Schrift von Weitem unleserlich ist. Die Leitung einer Konferenz und das Schreiben auch nur weniger Worte an der Tafel ist für sie eine gefürchtete Ãbung, die sie, koste es, was es wolle, zu vermeiden suchen.
Um nicht selbst dermaÃen leiden zu müssen und zu zeigen, dass es möglich ist, seine Schwächen zu offenbaren, blättere ich in der Patientenakte, ziehe auf gut Glück eine Seite heraus und bitte den Patienten nachzusehen, ob er dort nicht einige Rechtschreibfehler entdeckt ⦠Er hat im Allgemeinen keine groÃe Mühe; die Ernte ist immer reichlich.
Auch ich werde rot!
Wie jeder Mensch werde auch ich manchmal rot. Meine Patienten, besonders jene, denen das Erröten peinlich ist, können es kaum glauben. Wie kann es sein, dass ein Therapeut, jemand, den sie aufsuchen, damit er ihnen hilft, dieses Problem selber nicht im Griff hat? Doch, ich habe das Problem durchaus im Griff: Ich werde immer noch rot, aber ich akzeptiere es! Das ist bei Weitem einfacher, als es um jeden Preis verhindern zu wollen (was das beste Mittel ist, um ein noch stärkeres und unangenehmeres Erröten zu provozieren).
Mein Trick, um rot zu werden, wenn ich es will
Es gelingt mir zwar nicht zu verhindern, dass ich rot werde, aber ich bin inzwischen imstande, fast willentlich rot zu werden! Dazu reicht es, ein kleines Missgeschick zu erzählen, das mir vor einigen Jahren passiert ist. Als ich bei einer Konferenz mit Kollegen einer jungen, sehr attraktiven Frau gegenübersaà und ihr direkt in die Augen schaute, unterlief mir ein Versprecher. Statt zu sagen: »Es wäre einen Versuch wert â¦Â«, hörte ich mich sagen: »Es wäre eine Versuchung wert â¦Â«, was eine Lachsalve bei all jenen Kollegen auslöste, die in dieselbe Richtung schauten wie ich. Natürlich wurde ich dunkelrot und die junge Frau mir gegenüber auch, was noch zu meiner Schamröte beitrug.
Auch wenn ich die Geschichte vor allem ulkig finde, reicht allein das Erzählen dieser Episode selbst heute noch aus, damit ich rot werde, und das zur gröÃten Freude meiner Patienten. Es ist klar, dass ich, um so weit zu kommen, an all meinen Glaubenssätzen arbeiten und alle negativen Gedanken infrage stellen musste, die ich gegenüber dem Erröten hegte.
Nein, Erröten heiÃt nicht zwangsläufig, dass man sich als schwach oder mit Fehlern behaftet zeigt. Erröten ruft auch nicht Ablehnung oder Mitleid hervor. Erröten ist einfach menschlich, und Menschen, die erröten, sind mir eher sympathisch. Aber selbst wenn es ein notwendiger Schritt ist, die eigene Betrachtungsweise der Dinge zu revidieren, reicht es nicht aus, um eine Schwierigkeit zu überwinden. Man muss auch lernen, sich mit seinem Unbehagen zu versöhnen. Man muss sich der Schwierigkeit aussetzen und sie nicht vermeiden, man muss das Problem ausdrücken, statt es zu verstecken.
Kürzlich schlug ich einer Patientin, die die Angewohnheit hatte, alle Komplimente, die sie bekam, herunterzuspielen, eine
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