Die Geheimnisse der Therapeuten
Bedingungen und speziellen Umstände, die dem, was geschah, vorausgingen. Ich sage schlicht, wie es war: »Nein, ich habe keine Facharztausbildung gemacht und war auch nicht immer leidenschaftlich an dem interessiert, was ich heutzutage tue. Ich interessierte mich leidenschaftlich für Geburtshilfe. Medizin war für mich Geburtshilfe oder gar nichts. Nach vier Jahren stand ich vor dem Aus. Ich konnte sie nicht ausüben.« Ich übergehe alle leichtfertigen Entschuldigungen, um dieses Scheitern zu erklären, und ziehe es vor zuzugeben: »Für mich war die Herausforderung so groÃ, dass ich mich in eine Leistungsangst verstrickt habe, die mich die Prüfungen und das Diplom gekostet hat. Ich bin damit sehr schlecht fertiggeworden, ich habe eine Phase tiefer Depression durchgemacht. Eine Zeitlang wollte ich gar nichts mehr von Kranken oder Medizin wissen. Deshalb habe ich in der pharmazeutischen Industrie gearbeitet.«
Es braucht Zeit, sich vor sich selbst und anderen zu offenbaren.
Ich kann dann vollkommen ehrlich von der Gegenwart sprechen: »Seien Sie beruhigt, was ich heute mache, interessiert mich leidenschaftlich, aber das war nicht von vornherein der Fall, ich habe durch vieles hindurchgehen müssen. Ich brauchte Zeit, um zu begreifen, wie sehr mir die Beziehung zu den Patienten fehlte. Ich brauchte Zeit, bis ich wieder angefangen habe, zu studieren und eine Ausbildung auf einem anderen medizinischen Gebiet zu machen. Ich brauchte Zeit, bis ich die Versagensangst losgeworden bin und wieder Vertrauen zu mir gefasst habe. Es hat mich Zeit gekostet, aber heute glaube ich, dass all diese Wunden nicht umsonst waren und zu der Art und Weise beitragen, wie ich meinen Beruf als Arzt und Therapeut ausübe.« Es braucht Zeit, sich vor sich selbst und anderen zu offenbaren.
Vier gute Gründe, um Selbstoffenbarung zu praktizieren
Selbstoffenbarung kann vielerlei Nutzen haben: sich von einer Angst zu befreien, seinen Selbstwert und sein Selbstvertrauen zu stärken, sich selber besser kennenzulernen, aufrichtigere Beziehungen herzustellen, das eigene Einfühlungsvermögen zu entwickeln. Die Liste der guten Gründe, um Selbstoffenbarung zu praktizieren, ist lang, sehr lang. Ich möchte vier dieser Gründe untersuchen, nicht weil sie wichtiger als die anderen wären, sondern einfach deshalb, weil sie mich persönlich ansprechen und mich täglich ermuntern, auf diesem Weg weiterzumachen.
Schluss mit dem doppelten Leid!
Die ganzen Tricks und Schlichen, die wir uns ausdenken, und all die Mühe, die wir uns geben, um die eigenen Schwächen oder Misserfolge zu bemänteln, zu verstecken, zu verheimlichen, zu verkleiden oder zu beschönigen, erschöpfen uns. Und was noch schlimmer ist: Dem Schmerz, den wir bei einem Scheitern erleben, fügen diese Tricks und Mühen noch ihr eigenes Gewicht hinzu. Sie bestätigen und nähren die negativen Vorstellungen, die wir von unserem Scheitern haben. Wir werden auf diese Weise Gefangene folgender absurder Logik: »Wenn ich das Bedürfnis habe, etwas zu verstecken, muss es wohl eine Schande sein, und wenn es eine Schande ist, muss ich die Anstrengung verdoppeln, es zu verbergen â¦Â«
Sie werden begriffen haben, dass ich, seitdem ich aus meinen Rechtschreibschwierigkeiten keinen Hehl mehr mache, nach der Logik verfahre: »Ich verberge meine Schwierigkeiten nicht mehr, und wenn ich die Schwierigkeiten eingestehen kann, dann können sie nicht so schlimm sein, und wenn sie nicht so schlimm sind, wäre es ein Fehler, sie verstecken zu wollen, also fahre ich fort, sie zu offenbaren â¦Â« Die Logik hat sich umgekehrt, und ich fühle mich damit wohler.
Akzeptieren, nicht perfekt zu sein
Unsere Schwächen und Misserfolge nicht zu offenbaren ist in Wirklichkeit eine besonders schädliche Form des Perfektionismus. Wenn wir von uns nur das Gesicht zeigen wollen, das wir für positiv halten, laufen wir Gefahr, überhaupt nichts mehr zu zeigen: »Das ist zu riskant, und wenn auf diese Weise dieser Fehler oder jene Schwäche auffliegen würde, und wenn, und wenn â¦.« Wie Tal Ben-Shahar in seinem hervorragenden Buch The Pursuit of Perfect unterstreicht, ist der »Wille, eine Selbstsicherheit und Selbstachtung vorzutäuschen, die man in Wirklichkeit nicht hat«, ein mächtiger Faktor, der zur Verschlechterung des Selbstbildes beiträgt. Dieser Autor, Professor in Harvard, wünscht
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