Die Geheimnisse Der Tinkerfarm
gewesen.«
»Niemand zwingt dich, in den Spiegel zu gehen. Du kannst auf mich warten.«
»Na klasse. Im Zimmer der Hexe sitzen und warten, in diesem riesigen alten Gruselhaus. Toller Plan. Kommt nicht in die Tüte, Jenkins.«
»Hör zu, wenn wir hierbleiben, wird die Hexe uns definitiv erwischen.« Draußen krachte der Donner, und als er verhallte, waren wieder die lauten Stimmen zu hören. Eine klang wie die von Patience Needle. »Das ist sie. Beweg dich endlich da hoch, verdammt!«
Steve stöhnte protestierend, ließ sich aber von Tyler die Treppe hinaufbugsieren. Tyler schlüpfte durch die offene Tür ins Arbeitszimmer der Hexe und winkte Steve, ihm zu folgen. Das Zimmer war wie üblich ordentlich aufgeräumt, alles fein säuberlich auf dem Arbeitstisch abgelegt und in dem hohen Schubladenschrank eingeordnet, Topfpflanzen an beiden Rändern des Tischs in Reihen aufgestellt, jeder Topf sorgfältig |324| beschriftet. Das Einzige, was nicht ins Bild passte, war ein Haufen Papiere, die achtlos verstreut auf dem Tisch lagen, als wäre ein starker Wind durchs Zimmer gefegt und hätte nur sie erfasst und sonst nichts. Am hinteren Ende des Zimmers stand die alte Waschkommode mit dem hohen Spiegel.
»Er ist wirklich hier«, hauchte Tyler. Er verspürte eine grimmige Freude, als wäre er für eine besonders standhafte Verteidigung der Wahrheit belohnt worden.
»Ich sage dir«, begann Steve, »ich werde nicht …«
Alle Lichter gingen aus.
»W-was …?«
»Schon gut«, sagte Tyler, obwohl er selbst einen Schreck gekriegt hatte. »Ich bin noch da.«
»Was ist los?« Steve hörte sich an, als wäre bei ihm ein größerer Panikanfall im Anzug. »Was ist passiert?«
»Stromausfall, weiter nichts«, sagte Tyler. »Wir haben doch Taschenlampen. Macht gar nichts.« Er knipste seine an und leuchtete damit durch den Raum. Durch die tiefe Dunkelheit überall wirkte der Donner noch lauter als vorher und das Zimmer der Hexe noch größer und unheimlicher. Tyler beugte sich über den Tisch und beleuchtete hier und da die verstreuten Papiere, doch sie sahen ganz normal aus, wie Rechnungen und anderer Geschäftskram.
Peng!
Der gedämpfte Knall von unten ließ sie beide zusammenzucken.
»Das war eine Pistole!«, sagte Steve.
»Jemand hat bestimmt nur was umgestoßen, weiter nichts«, widersprach Tyler.
»Du lügst doch voll, Jenkins. Nichts wie raus hier!«
Tyler verspürte ebenfalls einen sehr starken Drang, die Flucht zu ergreifen, aber er wollte jetzt nicht aufgeben, nachdem er so weit gekommen war. »Ich kann nicht. Ich gehe in |325| den Spiegel, um Grace zu holen«, erklärte er. »Hab ich dir doch gesagt.«
»Du wirst mich doch nicht hier im Dunkeln sitzenlassen!«
»Du kannst ja mitkommen.«
Ein zweiter lauter Knall, unmittelbar gefolgt von einem dritten.
Steve hatte jetzt auch seine Taschenlampe gefunden. Blankes Entsetzen stand in seinen Augen. »Du kannst mir nicht erzählen, dass das keine Schüsse waren!« Da wurden seine Augen so weit, dass Tyler befürchtete, sie würden ihm aus den Höhlen kullern. »Da kommt jemand!«
Tyler wollte erst widersprechen, aber es gab keinen Zweifel: Beide hörten sie rasche Schritte die Treppe hinaufkommen. »Mist, verdammt! Schnell, versteck dich!« Er schwenkte den Lichtstrahl durchs Zimmer, doch das einzige Versteck war unter dem Arbeitstisch, wenn sie nicht in den Spiegel wollten. Tyler wusste, dass Steve ihm ohne größere Auseinandersetzung nie dorthin folgen würde, deshalb packte er den dicken Jungen am Arm und zerrte ihn unter den Tisch. »Hier!«
Sie hatten kaum ihre Lampen ausgemacht und waren so weit wie möglich nach hinten gekrochen, behindert von den Rucksäcken, die sie immer noch trugen, als schon die Tür aufflog und mit einem dumpfen Schlag an die Wand rumste.
»Verräter!«, zischte Mrs. Needles Stimme, kalt und scharf wie eine Glasscherbe. »Ich weiß, dass du hier irgendwo bist. Du kannst dich nicht vor mir verstecken.«
Steve entfuhr ein fast unhörbar leises Wimmern. Tyler griff sich die Hand seines Freundes und drückte sie, so fest er konnte. Mrs. Needle hatte sich nicht bewegt, was bedeutete, dass sie immer noch in der Tür stand und lauschte. Schließlich schritt sie zum Tisch, und Tyler wurde am ganzen Leib eiskalt, |326| als ob ihm auf einen Schlag sämtliches Blut in den Adern gefroren wäre. Er drückte abermals Steves Hand, ebenso um sich zu bestätigen, dass er nicht allein war, wie um seinen Freund zum Stillsein zu mahnen.
Mrs. Needle
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