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Die Geheimnisse Der Tinkerfarm

Die Geheimnisse Der Tinkerfarm

Titel: Die Geheimnisse Der Tinkerfarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams , Deborah Beale
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Bügelfaltenhosen. Mit seinen vom Fahrtwind verwuschelten Haaren sah er aus wie eine Vogelscheuche auf Rädern. »Hi, Colin«, sagte sie. »Steht dir gut, der Anzug.« Das stimmte nicht ganz, aber Lucinda wollte den Sommer diesmal freundlich beginnen – eigentlich, dachte sie, war Colin gar nicht so übel. Tyler schnaubte, aber Colin und Lucinda ignorierten ihn.
    »Danke.« Colin drehte sich hastig zu Gideon um, als wäre es ihm mit einem Mal peinlich, Lucinda in die Augen zu schauen. »Meine Mutter hat euch herfahren sehen, und sie sagt, ich soll dich daran erinnern, dass Sarah den ganzen Tag gearbeitet hat, damit wir ein warmes Abendessen bekommen, aber lange wird es nicht warm bleiben.«
    »Patience hat uns gesehen? Da muss sie mit meinem Fernglas Ausschau gehalten haben.« Gideon wandte sich Tyler und Lucinda zu. »Was wohl bedeutet, dass wir uns lieber beeilen.« Er hörte sich an wie ein kleiner Junge, der mit Hochgenuss ein Verbot übertritt. »Bevor die Geduldige«, denn das hieß Patience, »noch die Geduld verliert.«
    Über diesen Witz konnte Lucinda beim besten Willen nicht lachen, aber aus Höflichkeit rang sie sich ein Kichern ab. »Komm mit, Colin«, sagte sie. »Ich will nur mal kurz zu den Drachen reinschauen. Komm schon! Ich beeil mich auch.«
    Colin, der dabei war, vom Rad zu steigen, hielt in der Bewegung inne. »Ähem … nein, danke. Geh du nur. Ich warte hier.«
    »Sei doch nicht doof! Du kannst mir erzählen, was du seit letztem Sommer so getrieben hast.« Lucinda hätte ihn beinahe am Arm gefasst, hielt sich dann aber lieber zurück. Sie wollte |25| dieses Jahr netter zu dem linkischen Jungen sein, aber sie wollte nicht, dass er auf dumme Gedanken kam. »Komm!«
    Colin schloss sich sehr widerstrebend der kleinen Gruppe um Simos Walkwell an, der die schwere Tür aufschob.
    Im Innern des kolossalen Stalls war es mindestens so heiß wie außen, aber zusätzlich hing der scharfe Geruch wilder Tiere in der Luft. Lucinda überwand ihren Ekel – schließlich hatte sie seit Monaten sehnsüchtig auf diesen Augenblick gewartet.
    Meseret, die Drachenmutter, lag ausgestreckt und mit angelegten Flügeln in ihrem Gehege, groß wie ein Bus, schön und schrecklich. Lucinda konnte sich bei ihrem Anblick ein aufgeregtes Quietschen nicht verkneifen. Meseret war wie ein Wesen aus einem Märchenbuch, überall dicke, lederige Schuppen und knochige Höcker, ein Wesen, das es in der echten Welt eigentlich nicht hätte geben dürfen – aber es gab sie. Die Augen mit den geschlitzten Pupillen beobachteten sie alle und verrieten nichts.
    Kannst du mich hören, Meseret?
Lucinda versuchte, mit ihren Gedanken zu sprechen.
Kannst du dich an mich erinnern? Wir sind zusammen geflogen!
Ein neutraler Beobachter hätte in jener Sommernacht wohl eher den Eindruck bekommen, dass Lucinda hilflos an Meserets zerrissenen Fesseln baumelte.
Kannst du dich an mich erinnern? Ich bin Lucinda!
Sie hatte sich vorher eingeschärft, beim ersten Mal nicht zu viel zu erwarten, aber Meserets wuchtiges, gleichgültiges Schweigen kränkte sie doch.
Erinnerst du dich? Ich habe geholfen, dein Ei zu retten!
    »Mann, guck mal! Da ist auch das Kleine!«, rief Tyler, und Lucinda wandte sich widerwillig von der großen Drachin ab.
    »In deinem Weihnachtsbrief hast du geschrieben, du hättest sie Desta genannt«, sagte sie zu Gideon.
    Ihr Großonkel nickte. »Das ist äthiopisch und heißt |26| ›Freude‹. Meine Frau Grace hatte einmal einen jungen Hund, der so hieß und an dem sie sehr hing.«
    Desta sah durchaus nicht wie ein junger Hund oder überhaupt wie ein Tierjunges aus, zumindest nicht im Vergleich zu dem winzigen Ding, das vorigen Sommer in der Farmhausküche geschlüpft war. Die junge Drachin war inzwischen so groß wie ein Pony. Sie war in fast jeder Hinsicht das kleinere, schlankere Abbild ihrer Mutter, doch ihre Grundfarbe war nicht deren stumpfes Graugrün, sondern ein sandiges Braun, dazu ziegelrote Rosetten und ein Grat hellolivgrüner Stacheln auf dem Rücken. Destas Schuppen, manche so groß wie Lucindas Hand, andere so klein wie der Nagel ihres kleinen Fingers, glänzten und funkelten, wenn die Muskeln unter der Haut spielten.
    Auch die junge Drachin beobachtete Lucinda und Tyler, vor allem aber sah sie aus, als wollte sie gern wieder einschlafen. »Cool«, flüsterte Tyler.
    »Ist irgendwas mit ihr?«, fragte Lucinda und blickte auf die Riemen um Destas Mitte. Eine Kette verband das Gurtwerk mit einem großen Ring, der dicht

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