Die Geheimnisse Der Tinkerfarm
über dem Kopf zu haben.«
»Dann wähle ich halt den Notruf.«
Er schüttelte den Kopf. »Mach keinen Quatsch, Mädel, ich tue dir nichts. Ich bin kein …
Schurke
oder so was. Dein Großonkel Gideon, der hat
mir
die Farm gestohlen. Und jetzt will er ein für alle Mal verhindern, dass ich sie doch noch bekomme, habe ich den Verdacht. Aber das werde ich nicht zulassen, verstehst du?« Stillman zog ein schmales Telefon heraus, nicht viel größer als ein flacher Stapel Spielkarten, und drückte eine Taste. »Haben Sie schon jemand erreicht?«, fragte er die Person am anderen Ende. Auf die Antwort hin knurrte er unwirsch. »Dann versuchen Sie’s weiter! Und probieren Sie’s auch bei Dankle noch mal.« Er schob das Telefon in die Brusttasche zurück.
Lucinda hatte sich im Zimmer umgeschaut und überlegt, ob sie vielleicht durch die Hintertür entwischen konnte; jetzt blickte sie abrupt auf. »Dankle?«, sagte sie. »Den Namen kenne ich. Das ist doch dieser Anwalt.« Der Mann, den Kingaree |262| am Vierten Juli im Park getroffen hatte. Stand Stillman hinter dem Komplott?
Der Milliardär warf ihr einen missmutigen Blick zu. Für einen Mann mit einem ganz netten Gesicht, dachte Lucinda, machte er keine netten Gesichter. »Natürlich kennst du ihn. Versuch nicht, mich für dumm zu verkaufen, kleines Fräulein. Er ist der Anwalt deines Großonkels, der Mann, der dich und deinen Bruder als Erben der Farm in Gideons Testament einsetzen soll. Da darf man wohl annehmen, dass du ihn kennst.«
»Onkel Gideons Anwalt …?« Lucinda war plötzlich zumute, als ob der Boden unter ihren Füßen zu bröckeln begänne. »Dankle ist auch Onkel Gideons Anwalt? Derselbe Mann?«
»Derselbe? Worauf willst du hinaus?« Stillman bedeutete ihr, sich auf die Couch zu setzen, und nahm ihr gegenüber in einem Sessel Platz. Der Regen trommelte immer noch laut auf das Dach, aber der Donner schien sich zu entfernen. Stillmans Blick war hart und gnadenlos. »Sprich. Was weißt du über den Anwalt?«
Lucinda holte tief Luft. »Nein. Erst Sie – wenn Sie mich nicht mit Gewalt zwingen wollen. Sagen Sie mir, worum es hier geht, oder ich sage nichts mehr und warte, bis die Carrillos zurückkommen. Was jeden Moment der Fall sein muss.«
Stillman starrte sie an. Sie konnte fast sehen, wie sein Gehirn tickte, während er in wenigen Sekunden hundert verschiedene Möglichkeiten erwog und verwarf. Er war schlau, das durfte sie nicht vergessen. Er war schlau und böse und reich.
Schließlich setzte er sich aufrecht hin. »Na schön, Lucinda, du sollst deinen Willen haben. Wir lassen das Verhör und machen stattdessen ein Geschäft. Ich erzähle dir etwas, du erzählst mir etwas. Abgemacht?«
|263| Sie versuchte, sicherer zu klingen, als sie sich fühlte. »Abgemacht.«
»Also fangen wir mit dem Anwalt an«, sagte Stillman. »Barnaby Dankle. Ein kleiner Rechtsverdreher aus Liberty. Gideon geht seit Jahren zu ihm, hauptsächlich weil sie beide billig sind, einer wie der andere, aber auch weil Dankle bereit ist, fünfe grade sein zu lassen, wenn er dafür ein paar Dollar mehr herausschlagen kann. Mit anderen Worten, er ist käuflich. Und das weiß ich genau, weil auch
ich
ihn gekauft habe.« Er lachte rauh. »Jawohl, seit mittlerweile zwei Jahren weiß ich über alles Bescheid, was Gideon rechtlich unternimmt. Dankle informiert mich über alles. Auf die Weise habe ich vor ein paar Wochen erfahren, dass Gideon vorhat, sein Testament zu ändern, und zwar sollen du und dein Bruder die Ordinary Farm erben, falls ihm etwas zustößt.«
Es stimmte also wirklich: Sie sollten die Tinkerfarm erben. Lucinda jubelte innerlich, aber gleichzeitig legte sich eine große Furcht auf sie. Wie sollten zwei Kinder es fertigbringen, diese verrückte und gefährliche Farm zu führen? Wie sollte ihnen etwas gelingen, woran selbst ihr Großonkel scheiterte?
»Aber die Testamentsänderung hat bisher nicht stattgefunden«, fuhr Stillman fort. »Bis heute Abend, besser gesagt. Dankle ist vor einer halben Stunde mit dem Taxi zu eurer Farm gefahren. Er wurde erwartet und eingelassen.« Stillmans bis dahin ruhige Stimme wurde auf einmal scharf. »Du bist dran. Wird nun das Testament heute Abend geändert? Und warum bist du nicht dabei?«
Und plötzlich fügte sich in Lucindas Kopf alles zu einem Bild zusammen – einem äußerst hässlichen Bild.
»Ich glaube, ja, das Testament wird geändert«, sagte sie langsam. »Aber nicht mehr zu unseren Gunsten. Mrs. Needle wird erben. So
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