Die Geheimnisse Der Tinkerfarm
muss es sein!«
|264| Stillman musterte sie skeptisch. »Was, die Haushälterin? Ich habe dir gesagt, Mädel, lüg mich nicht an. Ich weiß zu viel.«
»Sie wissen gar nichts!« Erwachsene Männer, wurde ihr klar, konnten mit ihrem selbstsicheren Gehabe genauso falsch liegen wie kleine Jungen. »Sie haben es in Wirklichkeit mit Mrs. Needle zu tun, nicht mit mir oder Tyler.
Sie
ist Ihre Feindin. Wir sind bloß Kinder!« Und es stimmte ja: Sie konnte so gut wie nichts ausrichten. Ed Stillman dagegen konnte sehr viel ausrichten.
Sie erzählte ihm, wie sie und Tyler im Stadtpark von Liberty das Gespräch zwischen Dankle und dem Sklavenhändler Kingaree belauscht hatten, wobei sie selbstverständlich Kingarees Beziehung zur Verwerfungsspalte verschwieg. »Was sie auch vorhaben mögen, es wird bestimmt heute Abend geschehen.« Lucinda konnte ihre Furcht nicht mehr zügeln. »Kingaree muss für Mrs. Needle arbeiten. Sie … sie hat Onkel Gideon irgendwas gegeben. Drogen vielleicht. Er ist seit Wochen krank. Und ich wette, jetzt lässt sie das Testament ändern, damit sie und ihr Sohn die Farm bekommen!« Lucinda wusste, dass sie recht hatte, sie spürte es. Auf einmal begriff sie, dass sie unbedingt auf die Farm musste. »Heute Abend!«
Stillmans Miene war nicht mehr so gereizt, aber nicht weniger angespannt. Er betrachtete sie wie ein Werkzeug, das er zu kaufen erwog und von dem er sich fragte, ob es für die vorgesehene Arbeit taugte. »Heute Abend, was?«, sagte er schließlich. »Na, dieser verlogene Dankle wird den Schreck seines Lebens bekommen – und diese Needle genauso, wenn sie sich tatsächlich einbildet, sie könnte sich etwas nehmen, das rechtmäßig Edward Stillman gehört.« Er stand auf und begab sich zur Tür.
»Nehmen Sie mich mit!«, rief Lucinda und lief hinter ihm |265| her. Sie konnte nicht hier auf der Couch sitzen und lesen, während sich draußen ihr Schicksal entschied. »Ich kann Ihnen reinkommen helfen. Ich kenne mich aus.«
Stillman lachte, als hätte sie angeboten, ihm etwas Geld zu leihen. »Ein guter Witz. Du willst mir helfen?«
Vor dem Fenster zuckte ein Blitz. »Mein Bruder ist auf dem Weg dorthin! Er will sich heimlich auf die Farm schleichen. Ich muss ihn finden.« Sie verabscheute sich dafür, aber sie gab ihre Gefühle preis. Sie bettelte den Mann an, der vielleicht der schlimmste Feind der Farm war. »Bitte helfen Sie mir!
Bitte!«
Er überlegte kurz, dann verzog sich sein Mund zu einem kleinen, schiefen Grinsen. »Na gut. Hol dir eine Jacke. Es gießt in Strömen.«
Das klang fast nach einem normalen Menschen, fand Lucinda, doch sie ließ sich nicht täuschen. »Danke. Ich muss nur noch schnell einen Zettel schreiben.«
»Dann beeil dich!« Seine Heiterkeit war gleich wieder verflogen.
Sie kritzelte rasch »Alles okay, bin bald wieder da, Lucinda« auf einen Zettel und eilte hinter Ed Stillman zur Tür hinaus, die Regenjacke über dem Kopf und spritzende Pfützen zu den Füßen. Der Vorplatz war dabei, sich in ein Schlammloch zu verwandeln. Die hintere Tür des großen Wagens öffnete sich vor ihnen. Stillman schob sie hinein, neben einen großen schwarzen Mann.
»Rutschen Sie rüber, Deuce, wir haben Besuch.« Stillman schwang sich neben sie und rief dann dem breitschultrigen weißen Mann auf dem Fahrersitz zu: »Los. Tinkerfarm.« Er schaute zum Fenster hinaus, während der Wagen wendete und zur Hauptstraße fuhr. »Gott, das ist die reinste Höllennacht. Und es wird noch schlimmer kommen … für den einen oder anderen.«
|266| Zu Lucindas anderer Seite lachte der bullige Deuce und freute sich sichtlich darauf, irgendjemandem die Hölle heiß zu machen. Seine Oberarme waren so dick wie Lucindas Taille. Sie kauerte sich in den weichen Ledersitz und fragte sich, ob das Ganze wirklich so eine gute Idee gewesen war.
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29
DAS PHANTASTISCHE NEEDLESKOP
C olin vergewisserte sich, dass an der Vorderseite des Hauses niemand am Fenster stand, ehe er über die Auffahrt zum Silo hinüberhuschte. Seine Mutter hatte den ganzen Tag kaum ein Wort mit ihm gewechselt, und nach ihrem angespannten Gesichtsausdruck zu urteilen, war das eher ein Grund zur Freude. Doch obwohl sie praktischerweise von irgendetwas voll in Anspruch genommen war, wollte er nicht riskieren, dass jemand ihn sah und es entweder ihr oder Walkwell meldete. Zum Glück hatte das altgriechische Monstrum Tag und Nacht damit zu tun, Ragnar Lodbroks Abwesenheit wettzumachen.
Colin blieb vor der Silotür stehen, um
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