Die Geheimnisse der Toten
Stücke schneiden und Crispus den Weg an die Macht ebnen.»
«Und du wirst hinter seinem Thron stehen und ihm einflüstern, was er zu tun hat, nicht wahr?»
«Es geht hier nicht um mich», blafft er. «Es geht um das Imperium und um Gott.»
Ich habe in letzter Zeit viel zu oft von Leuten gehört, dass sie für Gott alles tun. «Geschieht das alles wegen der Arianer? Wegen Eusebius und Alexander?» Verglichen mit der Ungeheuerlichkeit, deren Zeuge ich gerade geworden bin, sind deren Eifersucht und Haarspaltereien ohne jede Bedeutung.
«Ich pfeife auf Eusebius und auch auf seine Feinde.» Porfyrius’ Ablehnung wirkt echt. «Glaubst du etwa, Christus wäre von den Toten auferstanden, damit sich Männer wie sie bis aufs Blut darüber streiten, ob er gleich ewig oder wesensgleich mit seinem Vater ist? Mir kommt es vor, als hätten sie das Buch der Weisheit geerbt und würden damit nur Feuer anzünden.»
Ich weiß nicht mehr weiter. «Aber warum dann?»
«Ich tue dies für Konstantin. Weil er recht hatte. Nur Einheit kann das Imperium davor bewahren, in Stücke zerrissen zu werden. Ein Gott, eine Kirche, ein Reich. Lässt man auch nur eine Teilung zu, geht die Teilung weiter, bis die Welt in Scherben liegt. Konstantin wusste darum, aber am Ende war er nicht stark genug, um gegen die Mächte des Chaos anzukommen. Durch dieses Wunder hier bekommen wir eine zweite Chance.»
Ich versuche, seine Worte zu verdauen. Vieles von dem, was er sagt, leuchtet so unmittelbar ein, dass es leichtfällt, über die absurden Prämissen hinwegzusehen.
Wenn wir die Welt regieren wollen, müssen wir die vollkommene Tugend des Einen anstreben, anstatt den Schwächen vieler nachzugeben.
Crispus – der neue Crispus – ist immer noch von Schatten umhüllt. Ich erhole mich von meinem Schock, der Verstand setzt wieder ein.
«Glaubst du wirklich, das Volk wird auf diesen Betrüger, den du da ausgegraben hast, hereinfallen?»
In demselben ungeduldigen Rhythmus, den Porfyrius angeschlagen hatte, klopft es an der Tür. Einer seiner Männer tritt ein.
«Es ist Zeit.»
Rom – Gegenwart
Es gab kein Versteck – nicht einmal eine Felsnische. Hier hatten die Totengräber keine cubicula freigeschlagen, und noch nicht einmal die Dunkelheit bot ihr Schutz, wie sie voller Verzweiflung feststellen musste. Die Stirnlampe war noch eingeschaltet. Ihr verräterisches Licht streifte die Wände und lockte wie ein Leuchtfeuer die Verfolger an.
Sie dachte an Marks Worte – seine vermutlich letzten Worte. Die können uns doch nicht bis hierher geführt haben und uns dann hängenlassen. Es erinnerte sie an eine alte Gospelaufnahme, die ihre Eltern gern gehört hatten, als sie noch ein Kind gewesen war.
Keiner hat gesagt, der Weg sei unbeschwerlich.
«Abby?»
Mit dieser Stimme – warm und beruhigend – hatte sie an diesem finsteren Ort am allerwenigsten gerechnet.
«Michael?»
«Du kannst rauskommen.»
Sie stellte keine Fragen und ging ohne nachzudenken den Gang entlang. Da stand Michael im Scheinwerferlicht, vom Strahl ihrer Lampe getroffen. Und hinter ihm zwei Männer mit erhobenen Waffen.
Wehren mochte sie sich nicht mehr. Sie starrte ihn fassungslos an.
Michael lächelte traurig. «Tut mir leid, Abby. Mir blieb keine Wahl.»
Ein vierter Mann tauchte hinter ihnen auf, eine schwarze Silhouette, angestrahlt von einer Lichtquelle, die sie nicht erkennen konnte. Er war kleiner als die anderen, ein schmächtiger Mann mit kurzgeschorenen Haaren und schütterem Bart. Es schien, als absorbierte er das Licht. Das Einzige, was an ihm reflektierte, war der verchromte Knauf einer Pistole, die in seinem Hosenbund steckte.
«Abigail Cormac. Ich muss wieder einmal fragen: Warum bist du nicht tot?»
Dragović. Abby wusste keine Antwort. Er lachte und zuckte mit den Achseln.
«Egal. Jetzt, da ich dich habe, wirst du dir wünschen, tot zu sein. Viele Male, bis du es endlich bist.»
Einer seiner Männer trat auf sie zu und packte sie am Arm. Sie wehrte sich nicht dagegen, von ihm zurück durch den Gang gezerrt zu werden. Unterwegs stolperte sie über etwas Weiches; sie schaute nicht nach unten.
Dragovićs Männer trugen Stirnlampen, aber keine Helme. Die Lichter waren auf die Ziegelmauer gerichtet.
«Hier warst du doch schon, nicht wahr?», sagte Dragović. «Links ist nichts, rechts ist nichts. Mir scheint, wir müssen geradeaus weiter.»
Einer seiner Männer – Abby zählte vier neben Dragović und Michael – nahm seinen Rucksack von den Schultern
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