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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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Wand gekettet wurde.
    «Das Manuskript erklärt, warum die frühen Christen eine so hohe Wertschätzung für das Kreuz hatten. Es heißt, dass, als Christus ans Kreuz geschlagen wurde, sein Blut ins Holz gesickert sei, es verwandelt und eine Kraft in ihm freigesetzt habe, die Tote zum Leben erwecken kann.»
    Ich finde das so absurd, dass ich laut auflache. Die Schatten tadeln mich mit steinerner Stille. Porfyrius meint es bitter ernst.
    «Ich wusste, dass die Kaiserwitwe Helena unter dem Verlust ihres Enkels schrecklich litt. Ich schrieb ihr und deutete an, Näheres über das Holz zu wissen. Sie war eine fromme Frau, von Trauer niedergedrückt und bereit, mir zu glauben. Sie ließ mich berichten, was ich zu sagen hatte, und machte sich anschließend sofort auf die Reise nach Palästina.»
    Diesen Teil der Geschichte kenne ich. Kaum dass Schmuck und Schmutz der Jubiläumsfeierlichkeiten von den Straßen Roms gefegt worden waren, brach Helena nach Jerusalem auf. Wir dachten alle, sie wollte mit dieser Reise den Kummer über Crispus’ Tod zu überwinden suchen oder sich einfach nur so weit wie möglich von Konstantin entfernen. Sie kehrte ein Jahr darauf zurück und starb kurze Zeit später.
    «Sie hat es gefunden», sagt Porfyrius unvermittelt. «Sie folgte meinen Hinweisen, fand das alte Kreuz und brachte es nach Rom. Dank ihrer Fürsprache war ich inzwischen praetor der Stadt. Bald darauf zum Präfekten befördert, verwaltete ich die Liegenschaften von Duas Lauros.» In seiner Stimme schwingt der Widerhall seines alten, trockenen Humors mit. «Die kennst du ja, wenn ich mich nicht irre.»
    Ich war tatsächlich einmal dort, im Juni des verfluchten Vicennalien-Jahrs. Konstantin ließ ungerührt wie sein eigenes Standbild die Feierlichkeiten über sich ergehen, während hunderttausend Römer mit ausdrucksloser Miene jubelten und so taten, als hätten sie nicht von Crispus gehört. Eines Nachts – Konstantin war sehr betrunken – ritt ich vor den Toren Roms die Via Casilina entlang bis hin zu dem alten Friedhof, auf dem Konstantin sein Mausoleum hatte errichten lassen. Es begleiteten mich zwei treue Gardisten der Schola mit einem langen Sarg, den wir aus Pula mitgebracht hatten. Ich erinnere mich noch an die riesige dunkle Rotunde über den alten Grabsteinen, an den kreischenden Riegel und das Geräusch unserer Schritte, als wir die Stufen hinunterschlichen. Ich erinnere mich an das flackernde Licht der Wandlampen und die tiefen Schatten in den endlosen Stollen. Ich erinnere mich an den lauten Donnerschlag, als wir den Deckel des Sarkophags in der entlegensten Katakombe zufallen ließen. So wuchtig krachte er auf, dass der Stollen bebte und Gesteinsbröckchen von der Decke rieselten. Ich fürchtete schon, mit dem Mann, den ich getötet hatte, lebendig begraben zu werden. Ich erinnere mich an mein tränennasses Gesicht, als ich seinen Sarg küsste und mich ein letztes Mal von ihm verabschiedete.
    «Warum erzählst du mir all das?» Die Erinnerungen haben mir den Hals zugeschnürt, meine Stimme ist kaum mehr als ein Krächzen.
    «Damit du verstehst.»
    Plötzlich flammt Licht auf. Jemand hat seine Fackel an einer Lampe entzündet. Als sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt haben, sehe ich ein gemauertes Gewölbe über meinem Kopf. Männer umringen mich. Ein wenig abseits steht eine Gestalt, die sich scheinbar verschämt zurückhält. Es ist das Gesicht, das mich seit elf Jahren in meinen Albträumen verfolgt.
    Ich reiße die Augen auf. Mein Herz rast.
    Ich blicke auf einen Toten.

Rom – Gegenwart
    Klaustrophobie kannte sie eigentlich nicht, aber hier lernte sie sie kennen. Abby fühlte sich von den Toten bedrängt. Der Tunnel war so eng, dass sie mit den Schultern die Wände berührten, wächsernes, graues Gestein, in dem immer noch die Meißelspuren derer zu sehen waren, die diesen Gang in den Fels geschlagen hatten. Abby versuchte, sie sich bei ihrer Schwerstarbeit ohne Licht oder Luft vorzustellen. Wie hatten sie das überleben können?
    Dr. Lusetti legte eine Hand an die Wand. «Wissen Sie, was das ist? Wir nennen es tufa . Im natürlichen Zustand ist es weich und leicht abzutragen, aber über längere Zeit der Luft ausgesetzt, wird es hart wie Beton. Deshalb hat man es relativ schnell geschafft, diese Katakomben auszuhöhlen, und deshalb haben sie überdauern können.»
    Vom Boden bis zur Decke waren dicht an dicht Nischen in die Wände eingelassen; manche standen offen, andere waren mit Fliesen oder

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