Die Geheimnisse des Nicholas Flamel - Die silberne Magierin: Band 6 (German Edition)
immer wieder begegnet. Und jetzt hat mich das Schicksal hierher geführt.«
»Na ja, eigentlich war ich es. Aber auch der Mann mit der Hakenhand hat dabei eine große Rolle gespielt.«
Ein Stöhnen ging durch die Menge, als sich die Gefängnistore knarrend öffneten, Truppen herausströmten und sich in langen, geraden Reihen aufstellten. Die Abendsonne spiegelte sich blutrot in ihren Rüstungen und Waffen.
»Und ich muss daran glauben, dass ich hier bin, weil ich etwas bewirken soll.« Sie stupste den Magier so fest in die Brust, dass er ins Wanken geriet. »Und wozu bist du hier, Dr. Dee?«
Jetzt hatte sie die Frage ausgesprochen, die ihn beschäftigte, seit Marethyu ihm seine Gesundheit zurückgegeben hatte. Wozu war er hier? Der Tag hatte ihm schon ausgesprochen gemischte Gefühle beschert. Innerhalb von Minuten war aus Triumph Verzweiflung geworden. Er hatte im Sterben gelegen und war wieder zum Leben erweckt worden. Und wofür? In seinem langen Dasein hatte er sich außergewöhnliche Fähigkeiten angeeignet. Wie sollte er sie einsetzen?
Der alte Mann blickte sich seufzend um. Die Menge auf dem Platz hatte sich verdoppelt. Ungefähr zweitausend Menschen skandierten inzwischen Atens Name, doch niemand wagte sich in die Nähe der Gefängnismauern. Die Monster mit den Tierköpfen würden jeden Augenblick angreifen und Dee hatte keine Zweifel, dass es ein schreckliches Gemetzel auf dem Platz geben würde. Es hatte eine Zeit gegeben, in der ihn das nicht berührt hätte. Aber damals war er unsterblich gewesen, mehr als ein Mensch. Jetzt war er wieder nur Mensch. Seine Perspektive hatte sich verändert.
»Na gut«, seufzte Dee schließlich, »ich habe einen Großteil meines sterblichen Lebens als Berater von Englands größter Königin verbracht. Ich habe zum Sieg über die spanische Armada beigetragen. Scheint so, als würde sich am Ende meines Lebens der Kreis schließen und ich zu meiner ursprünglichen Rolle zurückkehren – als Berater einer Königin.«
Virginia blinzelte überrascht. »Ich bin keine Königin.«
»Noch nicht, aber bald«, behauptete er zuversichtlich. »Und jetzt hör dir meinen Vorschlag an.«
KAPITEL SECHSUNDFÜNFZIG
S cathach ging durch die Außenbezirke von Danu Talis. Sie trug eine weiße Tunika und hatte ihr feuerrotes, gespiktes Haar unter einem spitzen Strohhut verborgen.
Die Straßen waren fast menschenleer. Ein paar ältere Männer und Frauen saßen in dunklen Hauseingängen und schauten ihr nach, als sie vorbeihastete. Zerlumpte Kinder spielten auf den ungepflasterten Straßen und blickten sie mit großen, neugierigen Augen an.
Bei einem halb verfallenen Brunnen blieb Scathach stehen und ließ das brackige Wasser in ihre Hand tropfen. Sie nippte vorsichtig daran. Es schmeckte leicht salzig und nach bitterer Erde. Sie schaute sich um und versuchte sich zu orientieren. Hier am Rand der Stadt gingen die Viertel – eben noch wenig mehr als Slums – nach und nach in schönere Wohngebiete mit größeren Häusern über. Noch näher am Zentrum ragten dann die Pyramiden, Zikkurats und Paläste des Adels in den Himmel. Dahinter stand, alles dominierend, die Sonnenpyramide.
Sie wandte sich nach Westen und schützte die Augen vor der untergehenden Sonne. Das schräg einfallende Licht blendete. Huitzilopochtli hatte den Zeitpunkt des Angriffs ganz bewusst so gelegt, dass die Sonne ihren Teil dazu beitragen würde, die Ankunft der Vimanas und Gleitschirme möglichst lange geheim zu halten. Doch ihr blieben die verschwommenen Punkte am Himmel nicht verborgen. Sie waren bald hier.
Ein leises Geräusch ließ sie herumfahren. Ihre Hände griffen nach den unter ihrer Tunika verborgenen Waffen. Ein kleines Mädchen mit großen dunklen Augen stand neben dem Brunnen. Sie hielt ein noch jüngeres Kind fest an der Hand. Beide waren barfuß und ihre zerlumpten Kleider waren wahrscheinlich nie weiß gewesen. Die beiden Kinder blickten zu der Schattenhaften auf. »Hast du dich verlaufen?«, fragte das Mädchen.
Scathach betrachtete es. Sein Alter war schwer zu schätzen – vier oder fünf vielleicht, und das kleinere Kind war vielleicht zwei.
»Ich glaube, ja. Vielleicht kannst du mir helfen.«
»Sie sind alle zum Gefängnis gegangen«, berichtete das Mädchen.
»Aten«, fügte der Junge hinzu und lutschte dann wieder geräuschvoll am Daumen.
Das Mädchen nickte ernst. »Sie wollen alle Aten befreien. Er sitzt im Gefängnis.«
»Böse Männer«, warf der Junge ein.
»Die bösen Männer
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