Die geheimnißvolle Insel
finden.
– Das kann wohl sein, antwortete der Ingenieur lächelnd.
– Nein, mein Herr, das ist wirklich so, erwiderte Pencroff, und die Insel Lincoln ist eine solche!«
Mit einer reichlichen Ernte an Cycas-Stengeln kehrte man nach dem Granithause zurück. Der Ingenieur construirte eine Presse, um den mit dem Mehle vermischten schleimigen Saft zu entfernen, und so erhielt man von ersterem eine recht ansehnliche Menge, die sich unter Nab’s geschickten Händen zu Kuchen und Puddings umwandelte. Ein eigentliches Brod aus Getreide hatte man hiermit zwar noch nicht, doch kam das Backwerk diesem ziemlich nahe.
In dieser Zeit lieferten auch die Quagga’s, die Ziegen und die Schafe aus der Viehhürde der Colonie täglich die nöthige Milch.
Der Lastwagen, oder vielmehr das Wägelchen, welches jenen nun ersetzt hatte, verkehrte häufig zwischen der Ansiedelung und dem Viehhofe, und wenn Pencroff dahin fuhr, nahm er immer Jup mit und lehrte diesen fahren, wobei der Affe ebenso geschickt als vergnügt mit der Peitsche knallte.
Alles, was man begonnen hatte, gedieh also prächtig und nichts, außer dem Getrenntsein von der Heimat, gab den Colonisten Ursache zur Klage. Sie hatten sich so sehr in dieses Leben gefunden, so sehr an ihre Insel gewöhnt, daß sie deren gastlichen Boden gewiß nicht ohne Bedauern verlassen hätten.
Und doch wurzelt die Liebe zum Vaterlande so tief im Menschenherzen, daß die Ansiedler, wenn sich ein Schiff zufällig der Insel in Sicht gezeigt hätte, ohne Zweifel Signale gegeben und es angerufen haben würden, um mit ihm wegzuziehen! …. Inzwischen freuten sie sich dieser glücklichen Existenz und hatten weit mehr Furcht, als eigentliches Verlangen, dieselbe unterbrochen zu sehen.
Wer kann sich aber schmeicheln, das Glück je an sich gefesselt zu haben und seinem Wechsel enthoben zu bleiben?
Wie dem auch sei, die von den Ansiedlern nun schon über ein Jahr bewohnte Insel Lincoln war wiederholt der Gegenstand ihrer Unterhaltung, und eines Tages wurde eine Beobachtung gemacht, welche später von den eingreifendsten Folgen sein sollte. H
Der Ostersonntag, 1. April, von Cyrus Smith und seinen Genossen der Erholung und der Andacht geweiht, war ein so schöner Tag, wie es nur ein herrlicher Octobertag der nördlichen Halbkugel sein kann.
Nach dem Essen hatten sich Alle unter der Veranda am Rande des Plateaus der Freien Umschau zusammengefunden und sahen langsam den Tag versinken. Nab servirte einige Tassen Hollunderbeerenaufguß, der die Stelle des Kaffee vertrat. Man plauderte von der Insel und ihrer isolirten Lage im Stillen Ocean, als Gedeon Spilett die Frage aufwarf:
»Lieber Cyrus, haben Sie schon, seitdem Sie den in der Kiste vorgefundenen Sextanten besitzen, die geographische Lage unserer Insel genauer bestimmt?
– Nein, antwortete der Ingenieur.
– Wäre es aber nicht empfehlenswerth, das mit dem Instrumente, welches doch jedenfalls verläßlicher ist, als das früher construirte, jetzt vorzunehmen?
– Wozu, warf Pencroff ein, unsere Insel ist herrlich, wo sie auch liegen mag.
– Das bestreite ich auch nicht, entgegnete Gedeon Spilett, doch es ist sehr denkbar, daß die Unvollkommenheit der Hilfsmittel die Richtigkeit der Beobachtung gestört habe, und da es jetzt leicht ist, sich hierüber Gewißheit zu verschaffen ….
– Sie haben Recht, lieber Spilett, meinte der Ingenieur, ich hätte diese Berichtigung wohl schon früher vornehmen sollen, obgleich der untergelaufene Irrthum weder in der Länge noch in der Breite fünf Grad übersteigen kann.
– Ja, wer weiß das? versetzte der Reporter, wer weiß, ob wir einem bewohnten Lande nicht weit näher sind, als wir es glauben?
– Das werden wir morgen wissen, versicherte der Ingenieur, und ohne die vielfachen Beschäftigungen, welche mir alle Muße raubten, wüßten wir es schon jetzt.
– Schön, mischte sich Pencroff noch einmal ein, der Herr Cyrus ist ein viel zu guter Beobachter, um sich getäuscht zu haben, und wenn die Insel nicht selbst davon gelaufen ist, befindet sie sich noch da, wo er sie zuerst hinversetzte!
– Wir werden ja sehen!«
Schon am folgenden Tage also stellte der Ingenieur mittels des Sextanten die nöthigen Beobachtungen an, um die früher gefundenen Coordinaten zu verificiren, und gelangte dabei zu folgenden Resultaten.
Seine erste Beobachtung hatte für die Lage der Insel Lincoln ergeben:
Westliche Länge: 150 bis 155°
Südliche Breite: 30 bis 35°.
Die zweite
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