Die geheimnißvolle Insel
sich hin, und sein Gesicht behielt das wilde, trotzige Ansehen bei; doch leistete er nach keiner Seite Widerstand.
Auf des Reporters Rath wurde der Unglückliche nach seiner Wohnung geleitet. Vielleicht blieben die Gegenstände, welche er dort sein genannt hatte, nicht ohne allen Eindruck auf ihn; vielleicht genügte ein Funke, um den verdunkelten Schatz seiner Gedanken wieder zu durchleuchten und die erloschene Seele wieder zu entflammen.
Die Wohnung lag nicht weit von hier; in wenig Minuten gelangten Alle daselbst an, der Gefangene erkannte jedoch nichts und schien das Bewußtsein aller Dinge verloren zu haben.
Was konnte man aus dem hohen Grade von Gesunkenheit dieses Elenden anderes schließen, als daß seine Gefangenschaft auf dem Eilande schon von langer Dauer sei, und daß die Einsamkeit desselben, nachdem er erst in vernünftigem Zustande hierher gekommen war, ihn in solche Verfassung gebracht hatte?
Der Reporter kam auf den Gedanken, daß der Anblick des Feuers vielleicht auf ihn wirke, und bald loderte eine helle Flamme auf, wie sie ja selbst die Aufmerksamkeit der Thiere erregt. Einen Augenblick schien sie der Unglückliche zu beachten; sehr bald wendete er sich aber ab, und sein bewußtloser Blick verlosch wieder.
Offenbar ließ sich für den Unglücklichen wenigstens nichts weiter thun, als Jenen an Bord des Bonadventure zu schleppen, wo er unter Pencroff’s Bewachung verblieb.
Harbert und Gedeon Spilett kehrten noch einmal nach dem Eilande zurück, um von dort alles Nützliche zu holen, und einige Stunden später zeigten sie sich wieder mit Geräthen und Waffen, einem reichlichen Vorrath an Sämereien von Gemüsepflanzen und einigen Stücken erlegten Wildes beladen, zwei Paar Schweine vor sich hertreibend, am Ufer. Alles wurde eingeschifft, und der Bonadventure hielt sich fertig, die Anker zu lichten, sobald am kommenden Morgen die Ebbe bemerkbar würde.
Den Gefangenen hatte man in der vorderen Abtheilung des Schiffes untergebracht, wo er sich ruhig, schweigend, in dumpfem, stummem Hinbrüten verhielt.
Pencroff bot ihm zu essen an, doch Jener verweigerte das dargereichte gebratene Fleisch, das ihm offenbar nicht zusagte. Als ihm der Seemann aber eine von Harbert geschossene Ente zeigte, stürzte er sich heißhungerig auf diese und verzehrte sie.
»Sie glauben, daß er auch davon noch zurückkommen werde? fragte Pencroff kopfschüttelnd.
– Vielleicht wohl, antwortete der Reporter, es ist nicht unmöglich, daß unsere Sorgfalt doch endlich einen Einfluß auf ihn gewinnt, denn nur die Einsamkeit hat ihn zu dem gemacht, was er jetzt ist, und allein soll er ferner nicht sein.
– Der arme Mensch ist gewiß schon lange in diesem traurigen Zustande, sagte Harbert.
– Wahrscheinlich, erwiderte Gedeon Spilett.
– Wie alt mag er wohl sein? fragte der junge Mann.
– Das ist schwer zu sagen, antwortete der Reporter, denn unter dem dichten Barte, der sein Gesicht bedeckt, sind ja dessen Züge kaum zu erkennen; doch sehr jung ist er nicht mehr, ich denke, er wird so gegen fünfzig Jahre zählen.
– Ist Ihnen nicht aufgefallen, Herr Spilett, wie tief seine Augen unter den Augenbrauen liegen? fragte der junge Mann.
– Ja wohl, Harbert, man möchte sie auch noch menschlicher nennen, als der Anblick seiner ganzen Erscheinung voraussetzen läßt.
– Nun, wir werden ja sehen, antwortete Pencroff, und ich bin wahrlich auf Herrn Smiths Urtheil über unseren Wilden sehr begierig. Wir zogen aus, ein menschliches Wesen zu suchen, und bringen nun dieses Ungeheuer heim! Man thut eben, was man kann!«
Die Nacht verging; ob der Gefangene schlief oder nicht, ließ sich nicht entscheiden, jedenfalls machte er keine Bewegung, obwohl man ihn vollends befreit hatte.
Er erinnerte an jene wilden Thiere, welche die ersten Augenblicke nach ihrer Ueberwältigung ziemlich ruhig liegen, und deren Wuth oft erst später wieder ausbricht.
Mit Anbruch des Tages – am 15. October – war die von Pencroff vorhergesehene Wetterveränderung eingetreten. Der Wind blies aus Nordwesten und begünstigte die Rückfahrt des Bonadventure; gleichzeitig frischte er freilich merklich auf und ließ einen schweren Seegang befürchten.
Um fünf Uhr Morgens wurde der Anker gelichtet. Pencroff nahm ein Reff in sein Hauptsegel und drehte den Bugspriet nach Nordosten, um direct nach der Insel Lincoln zu steuern.
Der erste Reisetag zeichnete sich durch keinerlei besondere Zwischenfälle aus. Der Gefangene verhielt sich in der
Weitere Kostenlose Bücher