Die geheimnißvolle Insel
der Seemann achselzuckend.
– Sie glauben, daß er die Insel verlassen habe? fragte der Reporter.
– Hätte er die Insel verlassen, antwortete Pencroff, so würde er wohl seine Waffen und Werkzeuge mitgenommen haben. Sie kennen den Werth den Schiffbrüchige auf dergleichen Gegenstände vielleicht das Letzte, was aus dem Schiffbruche gerettet wurde, zu legen pflegen. Nein! Nein! Der hat die Insel nicht verlassen. Auch wenn es ihm gelungen wäre, sich durch ein selbstgezimmertes Boot zu retten, diese Gegenstände für den ersten Bedarf hätte er nicht hier gelassen! Nein, er ist noch auf der Insel!
– Und am Leben? fragte Harbert.
– Noch am Leben, oder todt. Doch wenn er todt ist, meine ich, wird er sich nicht selbst begraben haben, und wir müssen doch seine Ueberreste finden.«
Man kam also überein, die Nacht in der verlassenen Wohnung zuzudringen, vorzüglich da ein noch weiter aufgefundener Holzvorrath deren hinreichende Erwärmung sicher stellte. Nachdem sie die Thür geschlossen, ließen sich Pencroff, Harbert und Gedeon Spilett auf einer Bank nieder, plauderten wohl ein wenig, aber hingen noch weit mehr ihren Gedanken nach. Sie befanden sich in einer Gemüthsstimmung, in der sie allerlei erwarteten und fürchteten, so daß kein Geräusch von außen ihrem Ohr entging. Hätte sich die Thür plötzlich geöffnet und wäre ein Mensch eingetreten, sie hätten sich darüber nicht besonders gewundert, trotz des verlassenen Aussehens dieser Wohnung, aber ihre Hände hätten sie Jenem entgegen gestreckt, um die des Schiffbrüchigen zu drücken, des unbekannten Freundes, den hier Freunde erwarteten.
Doch kein Geräusch ließ sich hören, die Thür öffnete sich nicht, und ohne Zwischenfall verliefen die Stunden.
Wie lang wurde doch dem Seemann und seinen beiden Gefährten diese Nacht! Nur Harbert hatte vielleicht zwei Stunden geschlafen, denn in seinem Alter ist der Schlaf ein unabweisbares Bedürfniß. Alle drei hatten Eile, ihre Nachforschungen vom Tage vorher fortzusetzen und das Eiland bis in seine verstecktesten Winkel zu durchsuchen. Pencroff’s Schlußfolgerungen waren offenbar richtig, und immer mehr wurde es ihnen zur Gewißheit, daß der Bewohner dieses verlassenen Hauses, in dem sich alle Werkzeuge, Geräthe und Waffen noch vorfanden, verschieden sein müsse. So wollten sie wenigstens dessen Leiche suchen und ihr ein christliches Begräbniß gewähren.
Der Tag brach an. Pencroff und seine Begleiter gingen sogleich an die nähere Untersuchung der Wohnung.
Diese befand sich offenbar in sehr gut gewählter Lage am Abhange eines kleinen Hügels, den fünf bis sechs prächtige Gummibäume beschützten. Vor der Front des Hauses schien erst mit der Axt eine Lichtung ausgebrochen zu sein, welche einen Blick auf das Meer gestattete. Ein kleiner, mit einem zerfallenden Holzstakete eingeschlossener Rasenplatz führte zum Ufer hinab, an dessen linker Seite der Bach ausmündete.
Die Wohnung selbst erwies sich aus Planken oder Brettern errichtet, welche offenbar von dem Rumpfe oder Verdecke eines Schiffes herrührten. Wahrscheinlich mochte also ein Schiff an derselben Stelle gescheitert und mindestens ein Mann der Besatzung gerettet sein, der aus den Trümmern des Fahrzeuges und mittels der geretteten Werkzeuge sich dieses Unterkommen hergestellt hatte.
Zur Gewißheit steigerten sich die Annahmen, als Gedeon Spilett bei einem Gange um das Haus auf einer Planke, – wahrscheinlich aus der Schanzkleidung des gescheiterten Schiffes – noch die halbverwischten Buchstaben:
BR.TAN..A.
entdeckte.
»Britannia! rief Pencroff, den der Reporter hinzu gerufen hatte, das ist ein bei Schiffen sehr gebräuchlicher Name, und ich vermag nicht zu sagen, ob dieses englischen oder amerikanischen Ursprungs war.
– Darauf kommt auch nicht viel an, Pencroff.
– Das ist wohl wahr, erwiderte der Seemann, und wenn der Ueberlebende der Mannschaft noch lebt, so werden wir ihn zu retten suchen und nicht fragen, welcher Nationalität er angehört. Doch wir wollen vor der Fortsetzung unserer Nachforschungen nach dem Bonadventure zurückkehren.«
Pencroff hatte wegen seines Fahrzeuges eine gewisse Unruhe erfaßt. Wenn nun die Insel bewohnt war, wenn sich Jemand des Schiffes bemächtigte …. doch nein, diese Annahme erschien ihm doch selbst zu unwahrscheinlich.
Der Seemann war ja niemals böse, an Bord zu frühstücken. Die etwas geebnete Straße führte nicht lang hin, kaum eine Meile weit. Man begab sich also auf den
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