Die geheimnißvolle Insel
Vordercabine vollkommen ruhig, und da er offenbar selbst Seemann gewesen war, schienen die Schwankungen des Schiffes auf ihn sogar eine Art heilsamen Einflusses auszuüben. Erwachte vielleicht eine Erinnerung an seine frühere Thätigkeit in seinem Gedächtnisse? Jedenfalls blieb er ganz ruhig, und schien vielmehr erstaunt als niedergeschlagen.
Am nächsten Tage – am 16. October – frischte der Wind noch mehr auf, ging auch weiter nach Norden, d.h. nach einer dem Curse des Bonadventure minder günstigen Seite, so daß das Schiffchen recht lebhaft auf den Wogen schaukelte. Pencroff sah sich bald veranlaßt, sehr dicht am Wind zu segeln, und ohne sich darüber zu äußern, fing der Zustand des Meeres doch an, ihm einige Unruhe einzuflößen, da schon wiederholt recht ansehnliche Sturzseen über die Spitze des Fahrzeuges hereinbrachen. Wenn der Wind in der Art fortschralte, mußte er offenbar mehr Zeit zur Rückfahrt nach der Insel Lincoln brauchen, als die Hinfahrt nach Tabor in Anspruch genommen hatte.
Am 17. Morgens, achtundvierzig Stunden nach der Abfahrt des Bonadventure, verrieth noch nichts, daß man sich in dem Gewässer der Insel befinde. Eine Abschätzung der zurückgelegten Entfernung war übrigens bei der wechselnden Richtung des Windes und Schnelligkeit der Fahrt fast unmöglich.
Auch vierundzwanzig Stunden später kam noch kein Land in Sicht. Der Wind wehte jetzt sehr steif und das Meer ging sehr hoch. Die Segelmanöver erforderten die größte Schnelligkeit und Vorsicht, man mußte reffen und der kurzen Strecke wegen, welche man bei dem Laviren zurücklegte, sehr häufig die Halsen wechseln. Am Morgen des 18. kam es sogar einmal vor, daß eine Woge den Bonadventure vollständig überschwemmte, und hätten die Passagiere die Vorsicht außer Augen gesetzt, sich auf dem Verdeck fest zu binden, so wären sie wohl mit fortgespült worden.
Als Pencroff und seine Gefährten bei dieser Gelegenheit tüchtig zugreifen mußten, erhielten sie durch den Gefangenen plötzlich eine unerwartete Hilfe. Letzterer schwang sich durch die Luke herauf, so als ob der Instinct des Seemannes in seinem Innern obgesiegt hätte, zerschmetterte mit einer Spiere einen Theil der Schanzkleidung, und bahnte so dem Wasser auf dem Verdecke einen hinreichenden Ausweg; als das Schiff davon befreit war, stieg er, ohne ein Wort gesprochen zu haben, wieder nach dem Raume hinab.
Ganz erstaunt hatten Pencroff, Gedeon Spilett und Harbert ihn gewähren lassen.
Indessen war die augenblickliche Lage eine schlechte, und der Seemann hatte triftigen Grund, zu glauben, daß er sich auf dem unendlichen Meere verirrt und keine Aussicht habe, seinen Curs wieder zu finden.
Die Nacht vom 18. zu 19. war dunkel und kalt. Gegen elf Uhr legte sich aber der Wind, der Seegang fiel und der weniger umhergeworfene Bonadventure nahm eine größere Geschwindigkeit an. Uebrigens hatte er sich auf dem Meere ganz vortrefflich gehalten.
Weder Pencroff, noch Gedeon Spilett oder Harbert dachten auch nur daran, eine Stunde zu schlafen. Sie wachten mit größter Aufmerksamkeit, denn entweder konnte die Insel Lincoln nicht mehr entfernt sein, und mußte man sie mit Anbruch des Tages schon wahrnehmen, oder der Bonadventure war, durch Strömungen verschlagen, unter dem Winde abgewichen, und es schien dann fast unmöglich, seine Richtung wieder zu corrigiren.
Obwohl Pencroff im höchsten Grade beunruhigt war, so verzweifelte er, Dank seiner gestählten Seele, noch nicht, und suchte, am Steuer sitzend, das tiefe Dunkel zu durchdringen, das ihn rings umgab.
Gegen zwei Uhr Morgens erhob er sich plötzlich:
»Ein Feuer! Ein Feuer!« rief er.
Und wirklich, zwanzig Meilen im Nordosten glänzte ein deutlicher Lichtschein. Dort lag die Insel Lincoln, und jenes Licht, das Cyrus Smith offenbar aus Vorsicht angezündet hatte, bezeichnete den, einzuschlagenden Weg.
Pencroff, welcher zu weit nach Norden zu hielt, verbesserte seinen Curs und drehte nach jenem Lichte bei, das wie ein Stern erster Größe über dem Horizonte schimmerte.
Fünfzehntes Capitel.
Die Rückkunft. – Gespräch. – Cyrus Smith und der Unbekannte. – Der Ballonhafen. – Des Ingenieurs Aufopferung. – Eine ergreifende Erfahrung. – Einige herabrollende Thränen.
Am folgenden Tage – dem 20. October – um sieben Uhr Morgens, lief der Bonadventure nach viertägiger Reise an der Mündung der Mercy sanft auf den Strand.
Schon mit Tagesanbruch hatte Cyrus Smith und Nab in Folge des schlechteren Wetters
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