Die geheimnißvolle Insel
unterrichtet, es ihm nachthun und ebenfalls hier erscheinen konnten. Tagtäglich durchsuchten die Colonisten daher mit dem Fernrohr den ausgedehnten Horizont zwischen der Union-und der Washington-Bai. Auf dem Wege nach der Hürde schweiften ihre Blicke über das Meer im Westen, und wenn sie den Bergausläufer daselbst bestiegen, konnten sie sogar einen großen Theil des nördlichen Horizontes übersehen.
Nie zeigte sich etwas Verdächtiges, doch immer mußten sie auf ihrer Hut sein.
So theilte der Ingenieur seinen Freunden auch eines Abends ein Project mit, die Hürde besser zu befestigen. Ihm schien es rathsam, die Palissade zu erhöhen und sie durch eine Art Blockhaus zu flankiren, in welchem die Colonisten gegebenen Falls auch einer mäßigen Uebermacht Widerstand leisten könnten. Das Granithaus erschien allein durch seine Lage uneinnehmbar; die Hürde mit ihren Baulichkeiten, ihren Vorräthen, den darin gehaltenen Thieren mußte dagegen stets das Ziel etwaiger Piraten, wer sie auch wären, sein, und kamen die Colonisten in die Lage dort eingeschlossen zu werden, so sollten sie sich wenigstens, ohne Nachtheil für sie, dort halten können.
Dieses Project erforderte eine reifliche Ueberlegung, und ward seine Ausführung bis zum kommenden Frühjahr vertagt.
Gegen den 15. Mai lag der Kiel des neuen Schiffes auf der Werft fertig, und bald erhoben sich, eingezapft an dessen beiden Enden, fast rechtwinkelig Vorder-und Hintersteven. Bei einer Länge des Kielbalkens von 110 Fuß konnte der Hauptquerträger des Verdecks 25 Fuß lang genommen werden. Das war aber Alles, was die Zimmerleute vor Eintritt des Frostes und des schlechten Wetters fertig stellen konnten. In der folgenden Woche setzte man zwar noch das erste Rippenpaar am Hintertheile ein, dann mußte die Arbeit jedoch definitiv unterbrochen werden.
Während der letzten Tage dieses Monats war eine ganz abscheuliche Witterung. Der Ostwind steigerte sich zeitweilig zum Orkane. Der Ingenieur ängstigte sich etwas wegen der Schuppen auf der Werft, – die übrigens in der Nähe des Granithauses hatte auf keiner andern Stelle errichtet werden können, – denn das Eiland schützte das Uferland nur sehr unvollkommen gegen die wüthende See, und bei starken Stürmen wälzten sich die Wogen bis unmittelbar an den Fuß der Granitmauer.
Glücklicherweise erfüllten sich seine Befürchtungen nicht. Der Wind sprang vielmehr nach Südosten um, und unter dieser Bedingung wurde der Strand vor der Wohnung durch den Erdwall der Seetriftspitze vollständig gedeckt.
Pencroff und Ayrton, die beiden eifrigsten Schiffswerkleute, setzten ihre Arbeit fort, so lange sie irgend konnten. Sie kümmerten sich nicht um den Wind, der ihnen in den Haaren wühlte, nicht um den Regen, der sie bis auf die Knochen durchnäßte, und meinten, ein Hammerschlag sei bei schlechtem Wetter ebenso viel werth, als bei gutem. Als dieser feuchten Witterung aber ein strenger Frost folgte, wurde das Holz, dessen Fasern die Härte des Eisens annahmen, außerordentlich schwer zu bearbeiten, und etwa vom 10. Juni ab mußte von dem Weiterbau des Schiffes definitiv abgesehen werden.
Cyrus Smith und seine Genossen hatten stets beobachtet, wie rauh die Temperatur auf der Insel Lincoln während des Winters war. Die Kälte entsprach ungefähr der der Staaten von Neu-England, welche ziemlich gleich entfernt vom Aequator liegen. Wenn das in der nördlichen Halbkugel, wenigstens bezüglich des von Neu-Britannien und den nördlichen Staaten der Union eingenommenen Theiles, begreiflich erscheint wegen der ungeheuren nach Norden verlaufenden Ebenen, welche den stechend-kalten Luftströmungen vom Pole her keinerlei ableitendes Hinderniß entgegen dämmen, so erschien eine solche Erklärung bezüglich der Insel Lincoln gänzlich unhaltbar.
»Man hat sogar beobachtet, sagte eines rages der Ingenieur, daß unter gleichen Breiten die Küsten und Ufergebiete weit weniger von der Kälte zu leiden haben, als ihr Hinterland. So besinne ich mich häufig gehört zu haben, daß die Winter der Lombardischen Ebene weit strenger sind, als die Schottlands, was darauf hinweist, daß das Meer im Winter die während des Sommers aufgenommene Wärme wieder ausgiebt. Die Inseln befinden sich demnach in der günstigsten Lage, hiervon den Nutzen zu haben.
– Warum scheint dann aber die Insel Lincoln, fragte Harbert, außer diesem allgemeinen Gesetze zu stehen?
– Das ist schwer zu erklären, erwiderte der Ingenieur. Ich möchte diese
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