Die geheimnißvolle Insel
gethan, wo ich konnte, und das Schlechte nur, wo ich mußte. Im Verzeihen liegt nicht immer die Gerechtigkeit!«
Es trat ein kurzes Schweigen ein, dann wiederholte Kapitän Nemo seine Frage:
»Was denken Sie von mir, mein Herr?«
Cyrus Smith ergriff die Hand des Kapitäns und sprach mit ernster Stimme:
»Kapitän, Ihr Unrecht liegt darin, geglaubt zu haben, man könne die Vergangenheit zurück rufen; Sie haben gegen den nothwendigen Fortschritt gekämpft! Es ist das einer der Irrthümer, welchen die Einen bewundern, die Andern verdammen, und über welche Gott allein zu urtheilen vermag Wer in einer für gut gehaltenen Absicht irrt, den kann man wohl bekämpfen, aber man muß ihn achten. Ihr Irrthum ist von der Art, daß er der Bewunderung gewiß ist, und Sie haben das Urtheil der Geschichte nicht zu scheuen; sie liebt die heroischen Irrthümer, wenn sie auch ihre Folgen verdammt.«
Die Brust des Kapitän Nemo hob sich und seine Hand streckte sich gen Himmel.
»Hatte ich Recht, hatte ich Unrecht?« murmelte er.
Cyrus Smith fuhr fort:
»Alle guten Thaten steigen zu Gott empor, von dem sie herstammen. Kapitän Nemo, die Männer, die Sie hier um sich sehen, die, denen Sie Ihre Hilfe geliehen haben, werden nicht aufhören, Sie zu beweinen!«
Harbert hatte sich dem Kapitän genähert. Er umschlang seine Knie, nahm seine Hand und küßte sie.
Eine Zähre quoll aus den Augen des Sterbenden.
»Mein Kind, flüsterte er, Gott segne Dich! …«
Fußnoten
1 Die Geschichte des Kapitän Nemo ist wirklich unter dem Titel: »20,000 Meilen unter dem Meere« veröffentlicht worden. Wir erinnern hier an die schon bei Gelegenheit der Erzählung von Ayrton’s Abenteuern gemachte Bemerkung wegen der Nichtübereinstimmung der Daten, und verweisen wir die Leser auf jene Notiz.
( Anmerkung des Herausgebers .)
2 Es bezieht sich das auf den Aufstand der Candioten, welche Kapitän Nemo wirklich unerkannt unterstützte.
Siebenzehntes Capitel.
Die letzten Stunden des Kapitän Nemo. – Der Wille des Sterbenden. – Eine Erinnerung an seine Freunde von einem Tage. – Kapitän Nemo’s Sarg. – Einige Rathschläge für die Colonisten. – Der letzte Augenblick. – Im Grunde des Meeres.
Der Tag war gekommen. Kein Lichtstrahl desselben drang in diese tiefe Höhle. Das jetzt wieder hohe Meer verschloß ihren Eingang. Das künstliche Licht aber, welches in Strahlenbündeln aus den Seiten des Nautilus blitzte, hatte sich nicht geschwächt, und immer noch glitzerte die Wasserfläche rings um den schwimmenden Apparat.
Vor übergroßer Ermattung war Kapitän Nemo wieder auf den Divan zurück gesunken. Man konnte gar nicht daran denken, ihn etwa nach dem Granithause zu schaffen, denn er beharrte bei der bestimmten Absicht, mitten unter diesen, nicht mit Millionen bezahlbaren Wundern des Nautilus zu bleiben, und hier den Tod zu erwarten, der ihm nicht mehr fern sein konnte.
Während einer lange anhaltenden Betäubung beobachteten Cyrus Smith und Gedeon Spilett aufmerksam den Zustand des Kranken. Es lag auf der Hand, daß der Kapitän allmälig einging. Die Kräfte schwanden diesem sonst so nervigen Körper, jetzt die zerbrechliche Hülle einer Seele, die ihr eben entfliehen wollte. Sein ganzes Leben pulsirte nur noch im Herzen und im Kopfe.
Der Ingenieur und der Reporter beriethen sich mit leiser Stimme. Konnte man diesem Sterbenden irgend welche Hilfe bringen? Ihn, wenn nicht retten, doch noch auf wenige Tage erhalten? Er selbst hatte es zwar gesagt, daß es für ihn keine Hilfe mehr gäbe, und ohne Furcht erwartete er den herannahenden Tod.
»Hier ist unsere Kunst am Ende, sagte Gedeon Spilett.
– Aber woran stirbt er? fragte Pencroff.
– Er löscht aus, antwortete der Reporter.
– Indessen käme er, fuhr der Seemann fort, vielleicht wieder mehr zum Leben, wenn wir ihn in die freie Luft und in die Sonne schafften?
– Nein, Pencroff, erwiderte der Ingenieur, hier ist nichts zu versuchen. Zudem würde Kapitän Nemo gar nicht zustimmen, seinen Bord zu verlassen. Dreißig Jahre lang hat er auf dem Nautilus gelebt; er will auch auf dem Schiffe sterben.«
Ohne Zweifel vernahm Kapitän Nemo diese Antwort Cyrus Smith’s, denn er erhob sich ein wenig und sagte mit schwacher, aber verständlicher Stimme:
»Sie haben Recht, mein Herr. Ich muß und will hier sterben. Doch habe ich noch eine Bitte an Euch Alle.«
Cyrus Smith und seine Gefährten näherten sich dem Divan und legten dessen Kissen so, daß der Sterbende besser
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