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Die geheimnisvollen Pergamente

Die geheimnisvollen Pergamente

Titel: Die geheimnisvollen Pergamente Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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der Freund war im Gedränge verschwunden.
    Der Turbanträger sprang über die Brüstung eines Daches, zwei Häuser weit entfernt, und verschwand. Als Sean die Stelle erreicht hatte, sah er eine drei Handbreit schmale Treppe, die außen an der Hauswand nach unten führte. Der Flüchtende hatte den Boden erreicht und rannte über einen schmalen Sandstreifen zwischen einer bröckelnden und einer frisch gekalkten Gartenmauer, und er schien mit jedem Schritt schneller zu werden.
    Er sah sich nur einmal um. Das Sonnenlicht fiel in sein Gesicht. Sean prägte sich das Gesicht genau ein: die schwarzen Locken unter dem Turbanrand, die dunklen Augen unter buschigen Brauen und den dunklen Bart, der kaum älter als sieben Tage war. Dann wirbelte der Muslim herum, hielt den Turban fest und tauchte in die Schatten am Ende des Sandwegs ein.
    Sean fand schlitternd Halt. Er stand im Mittelpunkt eines Kreuzweges. Hier trafen sich vier ähnliche Sandwege. An einer Ecke wuchs eine kümmerliche, von Ziegen halb abgefressene Tamariske. Der Mann war verschwunden. Es gab keine Fußspuren, keine bewegten Schatten. In der Stille hörte Sean seinen eigenen Herzschlag.
    Jetzt ist er endgültig verschwunden, dachte Sean schweißüberströmt. Seine Lungen brannten, sein Atem ging pfeifend. Er blickte nacheinander in alle vier Himmelsrichtungen, aber er sah ein, dass es nun aussichtslos war. Er schaute nach dem Stand der Sonne und folgte dann dem breitesten der schmalen Pfade, der nach hundert Schritten abwärts führte und in eine der vielen Gassen mündete, die Sean bereits kannte.
    Er kam ungefähr dort aus, wo die Verfolgung angefangen hatte. Langsam ging er weiter, nach einigen Dutzend Schritten lehnte er sich an die Wand, um sich auszuruhen und wieder zu Atem zu kommen. Schweiß tropfte ihm von der Stirn, der Nasenspitze und dem Kinn. Er wischte ihn weg; der Ärmel des Burnus war schwarz vor Nässe. Der Lederwams klebte an seiner Haut, vor seinen Augen drehten sich farbige Kreise.
    »Ich kriege dich noch, elender Steinewerfer!«, knurrte er und ging weiter. Kurz bevor er die belebte Gasse erreicht hatte, traf ein harter Schlag seinen Hinterkopf. Als Seans Knie weich wurden und er merkte, dass er auf der Stelle zusammensank, spürte er einen stechenden Schmerz. Seine Arme sanken kraftlos herunter; er versuchte mit einer letzten Anstrengung, sich irgendwo festzuhalten, und spürte warme, runde Steine zwischen den Fingern. Dann senkte sich Dunkelheit über ihn, und er verlor das Bewusstsein.
     
    »Blitz und Donner!«, stöhnte Abu Lahab. »Wie viele, sagst du, werden den Ungläubigen drohen?«
    Abdullah wartete ab, bis der Schmied zu hämmern aufgehört und das Eisen in die Glut zurückgeschoben hatte, dann antwortete er: »Die reichen Händler wollen ihre Ruhe haben. Ihnen sind Ungläubige, gleich, welcher Hautfarbe, einerlei.« Er lachte kurz auf. »Einer hat mir grinsend geantwortet: ›Wenn du nach jedem kläffenden Hund einen Stein wirfst, werden eines Tages die Steine zu teuer!‹ Aber die kleinen, armen Händler, Wasserverkäufer und all die anderen – sie werden sich rechtzeitig einfinden.«
    »Gut gemacht, Abdullah«, lobte Abu Lahab und klatschte in die Hände. »Tod den Ungläubigen. Du wirst die zornige Meute anführen!«
    Abdullah zuckte mit den Schultern. »Noch wissen die Stadtwachen nichts davon. Die Gasse ist eng. Da schlagen sich die wütenden Glaubensbrüder gegenseitig die Köpfe ein.«
    »Hat es mich viel gekostet?«
    Abdullah zog einen Lederbeutel aus dem Gürtel und hob ihn hoch. Er schüttelte ihn; nur zwei Münzen klirrten schwach. Die Traurigkeit, die einige Herzschläge lang Abu Lahabs Gesicht verdüsterte, verging zögernd.
    Er sagte mit hörbarem Bedauern: »Du hast vielen Hunden viele große Steine nachgeworfen.«
    »Willst du einen Aufruhr oder sparen?«
    »Schon gut.« Lahab tauschte den fast leeren Beutel gegen einen neuen, gefüllten. »Ich verlasse mich auf dich und die anderen Wachen. Und was ist mit der Christin?«
    Er deutete auf einen fellüberzogenen Hocker. Abdullah setzte sich und machte eine verlegene Geste. Ein Sklave kam die Treppe herunter und brachte Becher voll kühler Getränke.
    »Wir haben tausendmal nach ihr gefragt. Niemand kennt sie.« Er hüstelte. »Viele Christinnen gibt es nicht; die meisten sind alt. Von wunderschönen Jungfrauen weiß niemand etwas. Sollen wir deinen Sohn verfolgen, wenn er nächtens zu ihr schleicht?«
    Abu Lahab starrte ihn eine Weile an, dann antwortete er: »Ich

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