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Die geheimnisvollen Pergamente

Die geheimnisvollen Pergamente

Titel: Die geheimnisvollen Pergamente Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Brille zurecht und sagte: »Indschil, so nennt ihr Muslime das Evangelium der Christen. Richtig? Und Yahya ist ein Schreiber, der eigentlich den Namen Johannes trägt. Yahya, diesen Namen habt ihr ihm gegeben.«
    »Das ist richtig«, antwortete Uthman.
    Joshua suchte aus einem Stapel ein Buch heraus, schlug es in der Mitte auf und blätterte in den schweren Seiten.
    »Das Evangelium des Johannes. Dieses Mal richtet der unbekannte Werfer sein Schreiben an die ungläubigen Christen. Seltsam.«
    »Und was schreibt er weiter?«
    »Isa sagt zu denen, die an ihn glauben: Wenn ihr Kinder Abrahams wäret, würdet ihr Abrahams Werke tun.«
    Henri murmelte: »Tatsächlich, es ist aus dem Johannes-Evangelium. Sieh bitte nach, Joshua. Ich meine, es ist das achte Kapitel, und dort steht es etwa in der Mitte.«
    »Ich hab’s, es ist der neununddreißigste Vers, Henri«, sagte Joshua.
    Uthman übersetzte weiter. »Sie antworteten und sprachen zu den Juden, die an ihn glaubten: Abraham oder Ibrahim ist unser Vater. Spricht Jesus zu ihnen: Wenn ihr Abrahams Kinder wäret, würdet ihr Abrahams Werke tun. Nun aber sucht ihr mich zu töten; einen solchen Menschen, der ich euch die Wahrheit gesagt habe, die ich von Gott gehört habe.«
    »Eigentlich meint der Schreiber, ihr Christen seid Muslime, weil die ›Werke Abrahams‹ eigentlich ›der Islam‹ bedeutet.« Joshua hob den Kopf und lächelte still in sich hinein. »Die Heilige Schrift der Christen will uns damit sagen, dass die wahre Religion unser Judentum ist.«
    »Wieder ein Hetzschreiben gegen Ungläubige?«, fragte sich Henri laut.
    »Der Schreiber, wenn es auch der Steinewerfer ist, kennt offensichtlich die Schriften aller drei Religionen sehr genau. Wie auch immer es ist, er muss sehr gebildet sein«, sagte Uthman.
    »Und überaus zielsicher«, bemerkte Henri. »Ich habe gut zugehört. Ich sehe nach Sean.«
    »Ich brauche mich wohl nicht zu wiederholen«, sagte Joshua und klappte das Buch zu. »Trotz aller Versuche, uns gegeneinander aufzuhetzen, lassen wir uns nicht aus der Ruhe bringen. Wegen unserer Heiligen Schriften werden wir nicht miteinander in Streit geraten.« Er machte eine Pause und sah Henri an, der auf den Stufen stehen geblieben war. Dann blickte er Uthman in die Augen und schloss: »Unser Gott, der ein und derselbe ist, will, dass wir in Frieden miteinander leben. Und nun wird es Zeit für den Abendsegen und unser gemeinsames Mahl. Morgen werde ich Rabbi Cohen erzählen, mit welch seltsamen Dingen wir es hier zu tun haben.«
    Henri nickte und setzte seinen Weg nach unten fort. Er fand Sean in dessen Zimmer, mit einem Verband im Nacken und einer schmalen Binde um den Hals. Er schien zu schlafen. Henri öffnete die Haustür und spähte in die Gasse, die vollständig im Schatten lag. Nur einige Stadtbewohner waren unterwegs. Henri hörte keinen Lärm, und er sah auch nichts Außergewöhnliches, also schloss und verriegelte er die Tür und ging zu Mara, um nachzusehen, was sie zu essen vorbereitete.
     
    In der Nacht blieb alles ruhig, ebenso am nächsten Tag. Am Nachmittag des folgenden Tages beugte sich Henri über die Brüstung, blickte fünf Atemzüge lang in die Gasse hinunter und nickte schwer. Dann drehte er sich um, trat an den Tisch und sagte zu Uthman: »Ungewöhnliches geschieht dort unten. Sieh selbst nach.«
    Uthman ging zum Ende des Dachs, warf einen langen Blick nach unten und zuckte mit den Schultern.
    »Du hast Recht. Doch das ist erst der Anfang. Vor dem Haus wird sich wohl bald eine große Menschenmenge versammelt haben. Noch warten und schweigen sie.«
    »Bald wird es hier brenzlig werden. Zu den Waffen, Henri.«
    Ihre Waffen lagen bereit. Henri setzte sich auf eine Treppenstufe und stützte traurig und enttäuscht den Kopf in die Hände. Er war in das Haus des alten Freundes gekommen, um Ruhe und Frieden zu finden. Aber nun hatte ihn wieder all das eingeholt, was er weit hinter sich geglaubt hatte. Unbeabsichtigt und ohne es selbst zu merken, legte er die Hand auf die syrische Münze, Umars Talisman, den er an einer Kette um den Hals trug.
    Er stellte sich vor, wie aus hundert Winkeln der Stadt ein Muslim nach dem anderen, von Unbekannten aufgehetzt, zu der Versammlung vor dem Haus stieß. Viele würden bewaffnet sein. Wollten sie eindringen und die Ungläubigen umbringen? Oder würden sie nur ihrem Zorn, ihrer rasenden Wut, ihrem Hass auf alles, das anders war als sie selbst, Ausdruck verleihen? Wieder zuckte er hilflos mit den

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