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Die geheimnisvollen Pergamente

Die geheimnisvollen Pergamente

Titel: Die geheimnisvollen Pergamente Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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unbekannten Christin, er ist zu allerlei Listen bereit, und er ist begabt: Er würde zu der kleinen Gemeinschaft der Freunde passen. Aber es gab noch so vieles, das sie von ihm wissen mussten, bevor sie ihn aufnehmen konnten.
    Sean schwitzte. Die arabische Sonne hatte seinen ganzen Körper braun gebrannt. Die Tage in Uthmans Haus hatten ihm gut getan. Sein bartloses Gesicht war so dunkel geworden wie das von so manchem Araber, und sein kurz geschorenes Haar war stark ausgebleicht. Dennoch würde er in den Gassen Jerusalems ohne Verkleidung sofort auffallen. Aber er fühlte sich wieder stark, kräftig und bei klarem Verstand. In den Gesprächen mit Henri, Joshua und Uthman waren viele Fragen geklärt worden. Er fühlte sich vollauf wohl, nur eines fehlte ihm noch immer: die Arme einer zärtlichen und leidenschaftlichen Frau. Aber hier in Jerusalem eine Frau zu finden, dachte Sean, das wäre in diesen Zeiten wahrhaftig ein Wunder.
    Plötzlich vernahm Sean undeutliche Geräusche aus dem Untergeschoss.
    Dann hörte er Maras Stimme: »Sean! Suleiman ist hier. Ich schicke ihn hoch zu dir aufs Dach.«
    »Gern! Er ist mir herzlich willkommen. Ich hab viel mit ihm zu besprechen.«
    Sean stand auf und fragte sich, welche Neuigkeiten Suleiman wohl bringen mochte.
    Als er die Stufen heraufgeeilt kam, rief er: »As-Salaam aleykum, mein Freund!« Dann packte er Seans Handgelenk.
    »Wa aleykum as-Salaam«, antwortete Sean, deutete auf die Hocker und Stühle und setzte sich. »Willkommen, Suleiman. Droht uns neue Gefahr?«
    Suleiman schüttelte den Kopf. Anerkennend musterte er Seans muskulösen, dunkel gebräunten Oberkörper und sagte: »Bald redest du wie ein hochgebildeter Araber. So wie ich.« Er lachte. »Die Grußformel könnte ich nicht besser formulieren. Aber zu deiner Frage: Soviel ich weiß, sind heute keine Mörder hinter euch her. Ich habe nur verschiedene Gerüchte in der Stadt gehört. Jene Männer, denen ihr den Aufruhr und die nächtlichen Eindringlinge verdankt, denken über andere Pläne nach. Aber ihr müsst auf der Hut sein, in der Stadt gibt es einige Übeltäter.«
    »Einer hat mich gerade besucht. Sie tun Übles, wie in jeder großen Stadt.« Sean grinste breit. »Und wie in manchen kleinen Städten auch.«
    »Wollen wir denen, die Übles tun, nicht das Leben ein wenig vergällen?« Suleimans Vorschlag klang, als habe er bereits gründlich darüber nachgedacht. Sean blickte ihn erstaunt an.
    »Wer? Wir? Etwa du und ich?«
    »Warum nicht? Ich kenne die Stadt und viele Schurken. Du kannst gut kämpfen, und wir beide können besser rennen als die meisten, wir haben es immerhin bewiesen.«
    »Und es wäre ein Versuch, der mich davon überzeugen könnte, wie ernst du es meinst.«
    »Du traust mir noch immer noch nicht?«
    Sean wiegte den Kopf und legte die Hand auf die Brust.
    »Henri, mein ehemaliger Herr und großer Freund, der wie ein Vater zu mir ist, hat fünf Jahre gebraucht, um mir zu vertrauen. Er hat mich nie enttäuscht. Und vor allem ich habe ihn nie enttäuscht. Fünf Jahre, du arabischer Steinewerfer!«
    »Ich schaffs in kürzerer Zeit. Vertrau mir.«
    Sie mussten beide lachen, musterten einander voller Überraschung, und Sean hatte das Gefühl, er könne es mit Suleiman versuchen, ohne enttäuscht zu werden.

16
    Im Januar, Anno Domini 1324 – Elazar ben Aarons Flucht
     
    Das Gerücht, die Juden hätten das Leben christlicher Kinder auf dem Gewissen, ging schon seit mehr als einem Jahr durch die kleine Stadt. Ein Kind war tot im Wald gefunden worden, von Füchsen oder Wölfen und Raben angefressen. Es dauerte nur Stunden, und schon wussten die meisten Überlinger, dass angeblich die Juden das Kind getötet und den Leichnam für ihre geheimen und widerlichen Riten geschändet hatten. Elazar ben Aaron, der jeden Einzelnen seiner Gemeinde genau kannte, wusste hingegen, dass keiner von ihnen ein Kindermörder war.
    Jetzt, als er das winzige Boot mit heftigen Ruderschlägen auf das andere Ufer zutrieb, auf das einzige Licht zu, das in seinem Rücken brannte, verfluchte er nicht nur die Christen der Stadt, sondern auch sich selbst – er hätte die Juden warnen müssen! Aber das hatten andere getan: wohlwollende, vernünftige Überlinger.
    Verbissen und schwitzend vor Zorn und Angst, ruderte er weiter. Er sah, wie hinter dem Schattenriss der Dächer Überlingens das Feuer schwächer wurde. Der Dachstuhl war längst zusammengebrochen und hatte eine gewaltige Pilzwolke aus Flammen, Funken und Rauch in den

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