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Die geheimnisvollen Pergamente

Die geheimnisvollen Pergamente

Titel: Die geheimnisvollen Pergamente Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Gras und sprang dem schlafenden Wächter vor die Füße. Der Junge rüttelte ihn an der Schulter und krächzte: »Hast du Abdullah ins Haus gehen sehen, Vater des Schlafes?«
    Der Alte blinzelte und gähnte, er schien Hasan zunächst nicht zu erkennen. Dann brummte er: »Er ist im Garten. Stör ihn nicht. Der Effendi redet mit ihm.«
    »Dann werde ich hier warten. Rück zur Seite, Alterchen.«
    Er setzte sich auf die Bank, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Es dauerte nicht lange, und die gleichmäßigen Atemzüge des Alten, von Schnarchlauten unterbrochen, hatten auch ihn schläfrig gemacht. Er schlief ein und erwachte erst, als Abdullah ihm die flache Hand auf die Schulter legte.
    »Du sollst deiner Arbeit nachgehen und nicht schlafen.«
    Hasan sprang auf, dehnte seine Muskeln und erwiderte: »Ich hab die ganze Nacht nicht geschlafen, o Abdullah, sondern bin, wie du befohlen hast, stundenlang…«
    Abdullah packte ihn am Oberarm und zog ihn in den Garten, sodass der Alte nicht mehr verstehen konnte, worüber sie redeten.
    »Jetzt sprich. Ich sehe es dir an: Du hast ihn nicht gesehen!«
    »Doch, schon!«, sagte Hasan gähnend. »Ich hab ihn kommen und gehen sehen. Und zwischendurch, fünf oder sechs Stunden lang, war er verschwunden.«
    »Wo war er verschwunden?«
    »Dort, wo’s nach Salzfisch, Trockenfisch und Katzenpisse stinkt. Beim Fischmarkt.«
    »Ich will mehr wissen.«
    Hasan berichtete ihm, dass es zuerst einfach gewesen war, Suleiman zu folgen. Er war ohne Eile und arglos durch die Gassen gegangen, dann hatte er auf einem Platz Halt gemacht und war plötzlich verschwunden. Hasan hatte rund um diese Stelle alle Gassen und Treppen abgesucht, aber Suleiman schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Auch im Morgengrauen und später hatte Hasan dieses Geheimnis nicht lüften können. Er hatte gesucht, gewartet und Suleiman erst wiedergesehen, als dieser gute tausend Schritte von Abu Lahabs Haus entfernt seelenruhig zwischen den Häusern entlangging und ein altes Liebeslied vor sich her hin summte.
    »Und jetzt, Abdullah, glaube ich, liegt er in seinem Zimmer und schläft«, schloss Hasan. »Er muss mit den Dämonen im Bunde sein.«
    »Wohl eher mit dem Dämon der Listigkeit«, sagte Abdullah mürrisch. »Du wirst also heute Nacht wieder dort warten, wo Suleiman verschwunden ist. Versprochen?«
    »So habe ich mir die nächste Nacht auch vorgestellt, Bruder der Drachmen.« Hasan köpfte mit einem Fußtritt eine Blume. »Ich werde herausfinden, wo er hingeht, früher oder später.«
    Abdullah nickte und fuhr fort: »Vergiss die ersten und letzten tausend Schritte. Suche dort, wo er verschwunden ist. Schau dir jedes Haus im Umkreis an und schreib dir die Namen der Besitzer auf.«
    »Das wird schwierig«, antwortete Hasan ohne jede Verlegenheit, »denn ich bin nur des Schreibers Bruder.«
    »Dann merk dir die Namen. Alle!«
    »Schon besser, das kann ich.«
    »Es wird dort, wo Suleiman scheinbar anscheinend verschwunden ist, nur wenige Häuser geben, in denen Christen leben. Hör dich um, du wirst schon in Erfahrung bringen, was wir wissen wollen.«
    »Genau so dachte ich vorzugehen, Abdullah.«
    »Schön, dann haben wir beide gute Ideen. Schlaf ein paar Stunden, und mach dann dort weiter, wo du gestern aufgehört hast.«
    Hasan grinste. »Ich höre und gehorche, o Abdullah.«
    Er verbeugte sich halb spöttisch vor Abdullah und lief ins Haus, wo er sich unter der Treppe auf die zerschlissenen Teppiche warf, ein paar Mal gähnte und dann sofort einschlief.

15
    Die Bettler und das Schwert der Armen
     
    Fast jeder Bewohner Jerusalems kannte den Bettler Seyam Yusuf, den Einarmigen, dessen Gesicht und Oberkörper von schrecklichen Narben, Wunden und Geschwüren entstellt waren. Er zählte, so glaubte man zu wissen, dreißig Lenze, aber sah mit seinem schlohweißen Haar und dem spitzen Kinnbart von der gleichen Farbe aus, als habe er längst sechzig erbärmliche Herbste erlebt. Er saß oft auf einem Kissen aus Rosshaar und Leinen im Schatten der Omar-Moschee unter einem großen Ölbaum und hielt seine Bettelschale mit der rechten Hand vor sich.
    »Almosen, o Scheich der Barmherzigkeit«, rief er ein ums andere Mal. »Allah liebt die Großzügigen.«
    Die meisten, die an ihm vorbeikamen und einen Blick in sein verwüstetes Gesicht warfen, ließen kleine Münzen, manchmal eine ganze Drachme und an hohen Feiertagen und während des Ramadan sogar einen Dinar in die Schale fallen. Händler brachten ihm manchmal etwas zu

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