Die geheimnisvollen Zimmer
sie die ›Modedame‹ wegen der kostbaren modischen Toiletten, die sie zu tragen pflegt. Zu Lebzeiten ihres seligen Mannes, des Holzwarenhändlers Hjelm, machte sie mit ihm gemeinsam viele Auslandsreisen. Und sie führte nach kleinstädtischen Begriffen im allgemeinen ein sehr luxuriöses Leben. Nach
Hjelms Tod erwies sich jedoch bei Auflösung des Geschäfts, daß für die Witwe nicht viel übrig geblieben war. In Anbetracht ihrer extravaganten Gewohnheiten ging es ihr daher seitdem sehr traurig, und es ist natürlich nicht zu verwundern, daß sie gern in dem ruhigen Hafen des Wohlstandes landen möchte, den der alte Aakerholm ihr zu bieten vermag.«
Asbjörn Krag nickte.
»Also eine Vernunftheirat.«
»Allerdings. Aakerholm ist ja auch vernünftig genug, um zu begreifen, daß von ihrer Seite die Liebe absolut nicht mitspielt. Vor etwa drei Wochen erzählte er mir, daß die Hochzeit bereits bestimmt sei und in zwei Monaten, also um Weihnachten, stattfinden solle. Wenige Tage darauf wurde ich am späten Nachmittag durch einen Eilboten nach Kvamberg gerufen. Der alte Gutsherr war plötzlich krank geworden, und dieses Mal war er tatsächlich krank.«
Der Arzt zündete sich eine neue Zigarre an und fuhr fort:
»Ich versichere dir, mein lieber Krag, daß ich noch nie in meiner ganzen Tätigkeit einen Menschen sich so jäh und entsetzlich verändern sah. Der flotte alte Herr mit dem ruhigen, kühnen Blick und dem kraftvollen Auftreten war ein zitternder, schwacher Greis geworden. Als ich kam, lag er in einem seiner Salons auf dem Sofa. Haar und Bart waren plötzlich fast weiß geworden, unsicher und furchtsam blickten seine Augen, und sein Gesicht schien ausgemergelt vor Angst. Ich untersuchte ihn sofort, seine Herztätigkeit bewies, daß er sich in einer starken nervösen Erregung befand. Er mußte unbedingt etwas erlebt haben, was ihn in eine so ungeheure Aufregung versetzt hatte, daß sein Leben dadurch gefährdet war.
Ich gab ihm eine beruhigende Medizin, und nach Verlauf einer Stunde hatte er sich ein wenig erholt. Ich fragte ihn nun, was geschehen sei, aber er antwortete eifrig und abwehrend:
›Nichts.‹
Ich ordnete an, daß er sich sofort zu Bett legen solle. Langsam und schwankend stolperte er durch die beiden Zimmer und drei Türen nach seinem Schlafzimmer. Ich wollte ihm ausnahmsweise dahin folgen, aber schon auf der Schwelle zu dem ersten Zimmer wandte er sich um und verschlang mich förmlich mit den Blicken. Rasch zog ich mich zurück, um ihn nicht zu reizen. So vergingen einige Tage, und der alte Herr wurde allmählich ruhiger. Aber etwas Nachdenkliches und Grübelndes war über ihn gekommen. Er war still und scheu geworden. Ich besuchte ihn oft, und er freute sich, wenn ich lange bei ihm blieb.«
»Gestatte mir eine Frage«, warf der Detektiv ein. »Hatte er nun seine Heiratspläne aufgegeben?«
»Nein, er beschäftigte sich im Gegenteil immer eifriger mit dem Gedanken, daß die Hochzeit möglichst bald stattfinden solle.«
»Schön. Weiter.«
»Aber als ich eines Nachmittags – es ist wohl jetzt acht Tage her – bei ihm saß und mit ihm plauderte, ereignete sich etwas ganz Merkwürdiges. Ich saß in einem Sessel, einen guten Likör vor mir, Aakerholm ging im Zimmer auf und ab und schmauchte sein Pfeifchen. Plötzlich wurde seine Aufmerksamkeit durch etwas gefesselt; er blieb jäh stehen und starrte stumm, unbeweglich und entsetzt in den mächtigen Spiegel des Zimmers. Ehe ich es noch verhindern konnte, hatte er eine große Obstschale ergriffen und sie in die Spiegelscheibe geschleudert; die ganze grüne Tiefe lag in Scherben und Stücken. Ich stand erschrocken auf und rief:
›Aber um Gottes willen, was tun Sie da‹!«
Er hielt mich an, legte seine zitternden Hände auf meine Schultern und antwortete:
»Nichts, nichts ... Lassen Sie mich in Frieden, gehen Sie, Doktor, ich will allein sein!«
Und ich ging.
Krag nickte nachdenklich.
»Hattest du in den Spiegel hineingesehen?« fragte er den Arzt.
»Nein«, antwortete dieser. »Ich saß nicht so, daß ich hineinsehen konnte. Es war ein großer altmodischer Spiegel von bedeutendem Wert.«
»Glaubst du, daß die Scherben aufbewahrt wurden?«
»Das glaube ich. Sie werden wohl irgendwo liegen.«
»Nun, und hast du den alten Herrn nach dieser Szene wieder gesprochen?«
»Ja, wiederholt. Aber er wich mir stets aus, wenn ich das Gespräch auf die Angelegenheit mit dem Spiegel lenken wollte. Gestern wurde ich jedoch wieder nach Kvamberg
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