Die Gehilfen des Terrors
Vater ahnte, dass sie noch was
vorhatten. Aber zum einen ist das in Tim gesetzte Vertrauen — was Gabys
Sicherheit betrifft — riesengroß, zum andern war das Vertrauens-Konto heute
abermals aufgestockt worden: Durch Tims überlegtes Handeln, als Gaby in der
tödlichen Falle auf dem Gleis feststeckte. Denn natürlich hatte Tims Freundin
ihrem Vater berichtet.
„Aber nicht zu lange“, sagte er
halblaut. „Ihr seid noch nicht achtzehn.“
„Gott sei Dank! nicht“,
murmelte Gaby. „Sonst wären wir ja strafrechtlich voll verantwortlich für
unsere nützlichen Taten.“
Klößchen nickte. „Die zerschossene
Fensterscheibe wird mir schlaflose Nächte machen.“
„Jetzt raus mit euch!“, grinste
Glockner. „Ich habe noch zu arbeiten.“
Auf dem großen Platz vor dem
Präsidium, wo mehrere Straßen zusammenlaufen, war nicht viel los. Ein paar
Taxis standen herum, ein leerer Bus fuhr vorbei, ein Radler, dessen hinteres
Schutzblech klapperte, strampelte heimwärts.
„Kalt und ungemütlich“, stellte
Klößchen fest. „Aber es wird sicherlich noch schlimmer.“
Gaby fasste Oskars Leine
kürzer. „Wenn wir einen kleinen Umweg fahren, kann ich meinen Hund nach Hause
bringen. Ich möchte endlich die Schuhe wechseln. Und für meinen Oskar war’s
heute genug. Er ist total müde.“
Tim nickte. „Für Tiere tun wir
doch alles.“
„Hund müsste man sein“, seufzte
Klößchen.
„Und dann fahren wir vermutlich
zum ehemaligen Puppentheater“, meinte Karl, „wo die Bordsteinkanten-Kids
nächtigen und wo nachts der Vermummte rumschleicht und seine Drohungen
rauslässt.“
„Die werden wir ihm
zurückstoßen in seinen geblähten Hals“, erklärte Tim großartig. „Denn Kids sind
kein Freiwild — Menschen aus gesellschaftlichen Randgruppen keine Zielscheibe
für Hass. Das müssen die Spießer mit der Saubermann-Masche noch lernen.“
„Notfalls durch uns“, sagte
Gaby.
„Was dann ‘ne harte Erfahrung
ist“, nickte Karl.
„Packen wir’s an, bevor die
Nacht vorbei ist.“ Tim schwang sich aufs Rad.
*
In Jens Lohmanns Bungalow an
der Achselmuffer-Allee war es kalt in dieser Nacht. Im offnen Kamin lagen immer
noch die verkohlten Scheite und würden dort sicherlich bis zum Frühjahr — oder
bis in alle Ewigkeit — einen hässlichen Anblick bieten.
Der gescheiterte Baulöwe saß in
einem der Sessel und trank Bier aus einem zu kleinen Glas, weshalb er häufig
nachschenken musste aus der Batterie Flaschen auf dem Tisch. Irene lag auf der
Couch, hatte sich geduscht und umgezogen, sah aber mitgenommen aus wie nicht
anders zu erwarten. Außerdem hatte sie jetzt Sodbrennen: eine Nachwehe von dem
gewaltsam verabreichten Schnaps.
Sie hatte sich in eine Decke
gehüllt, denn im Haus war es wirklich sehr kalt. Der Baulöwe hatte die Heizung
auf unterste Stufe gestellt. Mit der Begründung, sparen zu müssen — denn die
Heizölpreise seien ja zurzeit der reinste Wahnsinn.
Irene wusste freilich, dass er
nie fror. Trotz seiner dürren Gestalt litt er an hohem Blutdruck — was von
seinem Charakter herrührte: von Habgier, Neid und Gehässigkeit. Außerdem trank
er Unmengen Bier, was den Menschen nur auf der Zunge kühlt, aber nicht im
übrigen Body.
Mistkerl!, dachte Irene.
Rücksicht ist dir ein Fremdwort. Weißt nicht mal, wie man das schreibt. — Aber
sie sagte nichts wegen der Heizung. Sie wusste, wie wütend er reagiert hätte.
Sie war mit ihm verheiratet und auf ihn angewiesen.
„Eins habe ich dem Glockner
verheimlicht“, sagte sie verschwörerisch. „Würde es rauskommen, behaupte ich
einfach, ich hätte es vergessen.“
„Was?“ Er öffnete die dritte
Flasche Bier.
„Als mich die beiden Maskierten
überfallen haben, hatte der eine seine Hemdsärmel bis zum Ellbogen hoch
gekrempelt.“
„Und?“ Lohmanns Augen blitzten
hinter der randlosen Brille.
„Er ist tätowiert.“
„Tätowiert?“
„Er hat ein Tattoo auf dem
Unterarm.“
Sie beobachtete ihren Mann.
Begriff er, was sie meinte? Nein.
„Auf dem rechten Unterarm hat
der Kerl eine tätowierte Schlange. Diese indische mit dem breiten Hals... Wie
heißt die noch gleich?“
„Meinst du eine Kobra?“
„Ja, genau.“ Sie fröstelte.
„Klingelt bei dir nichts?“
„Was meinst du?“
„Jens! Einer von Hans-Martin
Zinses Krawalltypen hat so ein Tattoo. Ich meine diese beiden Rambos von der so
genannten Hausverwaltung. Die sind uns doch begegnet, als bei der
Poseidon-Villa noch alles in der Schwebe war und du
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