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Die Geisel

Die Geisel

Titel: Die Geisel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G. M. Ford
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sicher?«
    »Hundertprozentig.«
    Corso wischte sich den Mund mit seiner Papierserviette ab. Er wollte sie schon zusammengeknüllt auf seinen Teller werfen, da fiel ihm wieder ein, wo er war, und er überlegte es sich anders. Stattdessen faltete er sie zweimal und legte sie fein säuberlich rechts von seiner unbenutzten Kaffeetasse ab.
    »Was für einen Geschmack sollte das Sorbet noch mal haben?«, fragte Melanie Harris.
    »Klementine.«
    »Und was ist das?«
    »Süß.«
    Sie lachte wieder. »Wirklich.«
    »Ich habe keine Ahnung. Ich hab's nur bestellt, damit Sie mich für kultiviert halten.«
    »Sie sind doch kultiviert.«
    »Das kommt davon, wenn man viel Geld von anderen Leuten ausgibt.«
    Sie prostete ihm spöttisch mit ihrem entkoffeinierten Kaffee zu. »Auf die kleinen Freuden des Lebens.«
    »Das ist mein Lackmustest dafür, ob etwas viel zu teuer wird«, erklärte Corso.
    »Wie denn das?«
    »Wenn mein Verleger dafür zahlt und ich den Preis immer noch zu hoch finde.«
    Sie nickte wissend. »Ich nehme an, Sie sind nicht mit Dingen wie Klementinensorbet aufgewachsen.«
    »Ich bin in Georgia aufgewachsen. Da, wo ich herkomme, gelten schon Makkaroni mit Käse als Haute Cuisine. Wie steht's mit Ihnen?«
    »Ich komme aus ›Fleisch-und-Kartoffeln-Michigan‹. Je näher der Sonntag kommt, umso besser das Fleisch. Mehr Fantasie war nicht drin.«
    Corso hob den letzten Rest seines Aperitifs: »Wir haben einen weiten Weg hinter uns.«
    Ihr Blick wurde plötzlich ernst. Sie machte keine Anstalten, seinen Toast zu erwidern. »Glauben Sie, zum Besseren?«
    Er zuckte die Achseln. »Manchmal frage ich mich das.«
    Sie hatten sich zwischen ihrer Ankunft und der Verabredung zum Dinner zwei Stunden Zeit gelassen. Die Resultate waren beeindruckend. Melanie war in einer besonders atemberaubenden Version von etwas aufgetaucht, das Frauen normalerweise als ›das kleine Schwarze‹ titulieren. Entweder hatte sie den Visagisten von ihrer Sendung einbestellt, oder die Leute aus dem Spa hatten die letzten beiden Stunden in ihrem Zimmer verbracht. Wie dem auch sein mochte – sie war mit Abstand die attraktivste Frau in einem Raum voll attraktiver Frauen.
    Corso war da schon in einer schwierigeren Lage gewesen. Die Kleider, in denen er angekommen war, hatten eine Gefängnisrevolte überstanden, eine Schießerei, eine Flucht quer durchs ganze Land, und sie hatten ein paar Nächte als Pyjama gedient. Oscar, der Concierge, hatte Corso versichert, dass ihm alles gereinigt nach Seattle geschickt werden würde. In der Zwischenzeit hatte er einen seiner Laufburschen mit Corsos Maßen in der Hand zum Fashion Square geschickt. Anderthalb Stunden und dreitausend Dollar später war Corso mit einem schwarzen Seidenhemd, einem schwarzen Kaschmirblazer und einem Paar hübscher grauer Hosen ausgestattet, die zu einem Dinner im Mary Elaine's passten. Für weniger formale Gelegenheiten hatte Oscar ihm noch ein Paar Jeans und zwei schwarze Seiden-T-Shirts besorgt. Anscheinend gefiel es Oscar ebenfalls, anderer Leute Geld auszugeben.
    Corso musterte ihr trauriges Gesicht. »Hab ich was Falsches gesagt?«, fragte er.
    Sie winkte ab. »Ich bin in letzter Zeit ein bisschen neben der Spur.«
    »Sie sind auf allen Kanälen. Das kann doch so schlimm nicht sein.«
    »Ich meine privat«, sagte sie und starrte in ihren Kaffee.
    Schweigen senkte sich wie ein Mantel über den Tisch. Auf der anderen Seite des Raums hatte ein gut gekleidetes älteres Paar Melanie erkannt. Sie hatten ihre Handys gezückt und waren gerade dabei, ihren Hollywood-Moment mit jemandem zu teilen, der weiter entfernt und daher weniger vom Glück begünstigt war als sie selbst.
    Ihre Augen fanden seine. »Sie werden mich nicht danach fragen, oder?«
    »Wenn Sie wollen, werden Sie es mir schon erzählen.«
    Schweigend beobachtete er, wie sie mit sich rang. Mit einem schwachen Lächeln schob sie ihren Stuhl zurück. »Sie haben recht«, war alles, was sie sagte.
    Sie versuchte es noch einmal und bekam diesmal ein besseres Lächeln zustande. »Das war ein schöner Abend. Vielen Dank, dass Sie ihn mit mir geteilt haben.«
    »Vielen Dank für die Rettung.«
    »Gern geschehen«, versicherte sie ihm.
    Er sah sich nach dem Kellner um.
    »Ich habe mich schon um die Rechnung gekümmert«, erklärte sie.
    »Wieder anderer Leute Geld.«
    »Gibt's auch anderes?«
    Er fasste ihren Ellbogen. Sie ließ es zu, als sie sich zum Eingang des Restaurants durchschlängelten und in die elegante Lobby

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