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Die Geisel

Die Geisel

Titel: Die Geisel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G. M. Ford
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hinaustraten.
    »Sie müssen doch völlig erschöpft sein«, sagte sie.
    »Es waren ein paar interessante Tage«, wich Corso aus.
    Mit der Gelassenheit zurückgebliebener Siebtklässler stammelten sie Abschiedsworte und verabredeten, wann sie sich am Morgen zum Frühstück treffen wollten.
    Den ganzen Weg den Flur hinunter bis zu ihrem Zimmer konnte sie seinen Blick auf sich ruhen fühlen. Bevor sie hineinging, schaute sie verstohlen über die Schulter. Er versuchte nicht, sein Starren zu verbergen. Sie deutete zum Abschied ein Winken an. Er lächelte, dann drehte er sich um und verschwand.

31
    Sie redete seit zwei Stunden. Ihre Lebensgeschichte. Fast alles von der Geburt bis zur Gegenwart, allerdings nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Heidis Art zu denken konnte man nicht gerade als linear bezeichnen. Sie neigte dazu, vom Thema abzukommen und so lange und kompliziert irgendwelchen Nebensträngen zu folgen, dass ihre Zuhörer vollkommen vergaßen, was eigentlich die Haupthandlung ihrer Geschichte gewesen war. Als sie angefangen hatte, hatte Harry sich seine Jacke über die Ohren gezogen und sich auf seinem Sitz zusammengekauert. Kehoe hatte noch eine halbe Stunde durchgehalten, bevor er den Kopf ans Seitenfenster lehnte und schließlich anfing zu schnarchen.
    »Also, na ja, zum ersten Mal bin ich Harry im Bowlingcenter begegnet. Sharps Lanes heißt der Laden. Naja, Dienstagnachmittag waren wir da immer mit den Mädels von meiner Kirchengruppe bowlen. Harry hatte da 'nen Job hinterm Tresen. Ich meine, es war nicht gerade Liebe auf den ersten Blick oder so was. Mann, ich hab echt nicht viel von ihm gehalten, als ich ihn damals kennen gelernt hab. Ich dachte, er wär total eingebildet. So wie er dahinten stand und die Schuhe rausgegeben und mit allen Mädchen geflirtet hat. Aber mit der Zeit hab ich dann gemerkt, dass er ein reines Herz hat, und ich konnte hinter diese alberne James-Dean-Masche gucken, die er immer abgezogen hat. Und dann hat er mir diese Packung Pralinen geschenkt. Wisst ihr, so eine von diesen goldenen Schachteln, wo innen auf dem Deckel all die Namen von den Süßigkeiten aufgeschrieben sind, so dass man im Voraus weiß, was man kriegt, und nicht irgendwas probiert, das man nicht mag.«
    »Halt doch mal die Klappe, Schatz«, knurrte Harry vom Rücksitz.
    »War ja nicht so, als hätten wir irgendwas machen oder irgendwo hingehen können. Ich meine, ich hab bei meinem Daddy gewohnt und Harry bei seiner Tante. Wir konnten nichts machen, außer irgendwo rumhängen. Vielleicht ab und zu mal rüber nach Redlands ins Kino, wenn wir 'ne Mitfahrgelegenheit organisieren konnten. Naja, jedenfalls haben wir dann beschlossen, uns 'ne eigene Wohnung zu nehmen. Harry kannte da dieses kleine Waldstück zwischen dem Highway und dem Bahndamm. Er hat gesagt, er hätte da schon als Kind gespielt, und keiner war je vorbeigekommen, also hätten wir da mit ziemlicher Sicherheit unsere Ruhe. Harry hat uns so ein kleines Baumhaus gebaut. Ihr wisst schon, hoch über dem Boden, damit uns die Käfer und das andere Viehzeug in Ruhe lassen – halt was, was wir, na ja, ihr wisst schon, auch mal allein sein konnten.« Sie schluckte und holte tief Luft. »Ich will nicht, dass Sie jetzt schlecht über mich denken, Mister. Ich bin kein schlechtes Mädchen oder so was. Harry war mein erster … na ja, Sie wissen schon, Junge in meinem Alter.« Sie zögerte. »Ich meine, wissen Sie, ich hab Wesley Miles erlaubt, mal seinen Finger reinzustecken, damals in der siebten Klasse, und ich meine, wer hätte denn gedacht, dass wir deswegen Ärger kriegen würden. So wie die Leute überall rumbumsen, könnte man doch sowieso meinen, die Welt ginge bald unter.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich hab nie kapiert, wieso Wesley seiner Mom so was erzählt hat.
    Na ja, nachdem Harry zum stellvertretenden Manager befördert worden war, dachte er, es wär der richtige Zeitpunkt, meinen Daddy zu fragen, ob wir heiraten könnten.« Sie gluckste. »Ich hab ja von Anfang an gewusst, was passieren würde. Ich hab's Harry ja gleich gesagt, dass mein Daddy von so was nichts hören will. Ich meine … wer hätte sich dann um ihn gekümmert, wenn ich weg gewesen wär? Wer hätte gekocht und sauber gemacht? Wer hätte …«
    Eine geschlängelte rote Linie erschien am nahen Horizont.
    »Was zum Teufel ist das denn?«, fragte Driver.
    Heidis Mund klappte zu.
    Kehoe betätigte den Hebel am Sitz, um sich in eine aufrechte Position zu bringen. »Vielleicht ein

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