Die Geisel
spielen?«, fragte Rosen.
Special Agent Westerman wurde blass. »Ich?«
»Die Gelegenheit ist günstig«, meinte er mit einem Lächeln.
»Ich bin doch gar nicht gebrieft worden.«
»Sie brauchen auch nicht gebrieft worden zu sein. Wir erzählen denen sowieso nichts.«
Sie lachte und warf ihm einen raschen Blick zu. Halb, um zu sehen, ob er sich vielleicht einen Spaß erlaubte, halb um ein Gefühl dafür zu bekommen, weshalb er das tat. In den letzten paar Tagen hatte sie eine Ahnung beschlichen, dass Rosen vielleicht versuchte, bei ihr zu landen; wenn sie jedoch darüber nachdachte, fragte sie sich, ob ihre Vermutungen nicht vielleicht eine mädchenhafte Interpretation einer ansonsten rein beruflichen Situation waren. Da einer ihrer Wahlsprüche jedoch lautete: ›Trau im Zweifelsfall deinen Instinkten‹, war sie zu dem Schluss gekommen, ihrem Bauch zu vertrauen.
Das Angebot, sie eine Pressekonferenz leiten zu lassen, fachte ihr Misstrauen neu an. Manche Agenten absolvierten ganze Karrieren, ohne ihr Gesicht jemals im Fernsehen zu zeigen, geschweige denn, dass sie die Presse über etwas derart Saftiges informieren durften wie entflohene Sträflinge und mehrfache Polizistenmorde. Noch dazu handelte es sich hier nicht um die Sorte Flüchtlinge, die irgendwann in Südfrankreich untertauchten. Brutale Kerle wie diese wurden entweder geschnappt oder getötet, und zwar ziemlich bald, was bedeutete, dass ihr Name und ihr Gesicht mit dem positiven Ausgang dieses Falls verknüpft werden würden. Kein Zweifel, das Schicksal klopfte an ihre Tür. Die Entscheidung verstand sich von selbst.
»Und was erzählen wir ihnen?«
Aus dem Augenwinkel sah sie ein Lächeln über seine Lippen huschen.
Rosen zog ein einzelnes, zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Innentasche seines Jacketts. Er reichte es Westerman und blieb dann mit verschränkten Armen die zehn Sekunden neben ihr stehen, die sie brauchte, um die drei kurzen Sätze zu lesen.
»Das ist alles?«
Rosen trat zu ihr und blickte auf das Blatt in ihrer Hand. »Stellen Sie sich vor, und präsentieren Sie dann einfach kurz die Fakten. Zwei Officers auf einem Rastplatz in Utah getötet. Die beiden haben Harry Gibbs und Heidi Spearbeck überstellt. Blablabla. Kehoes Fingerabdrücke am Tatort. Wir nehmen an, dass sie zusammen unterwegs sind, aber wahrscheinlich nicht lange. Die Namen der Officers werden zurückgehalten, bis die Angehörigen informiert sind. Die Täter sind vermutlich bewaffnet und gelten als extrem gefährlich.«
Er beugte sich näher zu ihr heran und zeigte auf den zweiten Absatz. Seine Schulter streifte die ihre. »Wir arbeiten hier in Salt Lake City mit der Utah State Police zusammen, in Verbindung mit der lokalen Niederlassung des FBI.« Er ließ seine Hand kreisen, als wollte er sagen: ›und so weiter‹. »Landesweite Fahndung. Der Richtung nach zu urteilen, in der sie bisher unterwegs waren, und aufgrund der Kapitalverbrechen, die sie auf ihrem Weg begangen haben, nehmen wir an, dass sie versuchen werden, die kanadische Grenze zu erreichen, weil Kanada sich in der Vergangenheit schon häufig geweigert hat, jemanden auszuliefern, dem die Todesstrafe droht.«
»Nehmen wir das an?«
»Nicht unbedingt.«
»Glauben Sie, Driver will zu seiner Mutter?«
»Ja«, sagte er, »mit Sicherheit.«
»Warum?«
»Weil ich sie während seiner Verhandlung gesehen habe. Ich war der Verbindungsmann des FBI zu den Behörden von King County.« Er nahm ihre Frage vorweg. »Driver war beim Bund beschäftigt, also musste ein Vertreter des Bundes einbezogen werden. Als der Prozess vorbei war, war sie wegen Missachtung des Gerichts vorgeladen und mehrfach mit Gewalt aus dem Gebäude getragen worden und durfte schließlich überhaupt nicht mehr mit in den Gerichtssaal. Sie hat nach einem Zeugen geschlagen. Sie hat Reporter angespuckt.« Er rückte noch näher an sie heran. »Blut mag ja dicker sein als Wasser, aber wie diese Lady ihren Sohn verteidigt hat, das ging weit darüber hinaus.« Er schüttelte den Kopf. »Vielleicht hat's irgendwas damit zu tun, dass der Vater sie verlassen hat, aber zwischen den beiden besteht eine Verbindung, die geradezu …« Er suchte nach einem passenden Ausdruck. »… geradezu ungesund ist«, sagte er schließlich.
»Sie meinen …«
»Belassen wir es dabei.«
Sie war erleichtert. Andere hätten die Gelegenheit ergriffen, sich in das Thema zu vertiefen. Seine Weigerung, das zu tun, ließ sie ihren früheren Verdacht neu
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