Die Geisel
Mädchen wie depressive Hausfrauen gewesen, Drogenabhängige mit Haschpsychosen sowie Schizophreniepatienten, deren Gefährlichkeit man nie richtig einschätzen konnte. Das war jetzt über zwei Jahre her, doch Maja hatte stets Kontakt zu ihren alten Kollegen behalten. Und alle waren damals zu ihrem Fest anlässlich ihrer abgeschlossenen Berufsausbildung gekommen. Soweit sie sich erinnern konnte, hatten sie ihr zwei Kerzenleuchter von Georg Jensen geschenkt, die nun auf dem Boden einer Küchenschublade ein zurückgezogenes Dasein führten.
»Wieso gibt’s hier Kuchen?«, fragte der Psychiater Ove Lærke, als er zur Tür hereinkam. Er war um die fünfzig, hatte grau melierte zottelige Haare und eine Brille mit ungewöhnlich verschmierten Gläsern, die ihm auf der Nasenspitze saß.
»Weil Maja am ersten Tag ihres Mutterschaftsurlaubs zu Besuch gekommen ist«, antwortete die Oberärztin Kirsten Olsen mit ihrer tiefen Stimme. Sie war Ende fünfzig, kräftig gebaut, benutzte kein Make-up und war dafür bekannt, stets aufeinander abgestimmte Rollkragenpullover und Gabardinehosen zu tragen. Die meisten Mitarbeiter fürchteten ihre direkte Art, doch Maja war von ihr immer gut behandelt worden.
»Ja, ja, jetzt habe ich Mutterschaftsurlaub«, sagte Maja mit strahlendem Lächeln. Ihr machte die kleine Notlüge nichts aus, außerdem brauchte sie nach so langer Zeit einen triftigen Grund, um mal wieder an ihrem alten Arbeitsplatz vorbeizuschauen.
»Dieser Überfall muss ja schrecklich für dich gewesen sein«, sagte Jette, eine auf Anorexie spezialisierte Psychologin. Sie war so klein und schmal, dass Maja sie im Verdacht hatte, an derselben Krankheit zu leiden.
»Ja, es war schrecklich«, bestätigte Maja. »Aber glücklicherweise ist ja nichts passiert, und in der Notaufnahme war ich in guten Händen.«
Sie hatte allen ein Stück Kuchen gegeben und setzte sich hin.
»Und auch sonst ist … alles in Ordnung?« Jette sah auf Majas Bauch.
»Ja, ja, alles okay.«
»Gott sei Dank!«, stieß Jette aus und hielt sich die Hand vor die Brust.
»Hast du jemanden, mit dem du über alles sprechen kannst?«, fragte Kirsten und schaute sie ernst an.
»Stig war wirklich eine große Hilfe«, log Maja. In Wahrheit hatte sie keine Lust, mit irgendjemand über die Sache zu sprechen.
»Hat die Polizei dich vernommen?«, fragte Ove, den Mund voller Torte.
»Also, Ove«, sagte Kirsten und verdrehte die Augen. »Natürlich hat sie das. Siehst du denn gar keine Nachrichten?«
»Errare humanum est«, antwortete Ove und zuckte entschuldigend die Schulter. »Leider hab ich keinen Fernseher.«
»Ich habe auch an einer Gegenüberstellung teilgenommen«, sagte Maja.
»Wie war das?«, wollte Jette wissen. »So wie man das aus Filmen kennt?«
»Ja, so ungefähr. Da war übrigens auch ein Patient von drüben dabei.« Maja zeigte aus dem Fenster, von dem aus man die Pavillons der sexualmedizinischen Abteilung sehen konnte. »Aber er war nicht der Mann, der mich überfallen hat«, fügte sie rasch hinzu.
»Die Polizei hat uns auch schon die Türen eingerannt«, sagte Kirsten.
»Die Polizei war hier?«, fragte Maja mit gespielter Verwunderung. »Was wollten sie denn von euch?«
»Etwas über die Patienten erfahren, die sie noch nicht kennen.«
»Und, habt ihr ihnen ein paar Auskünfte gegeben?«, fragte Maja so beiläufig wie möglich.
»Natürlich. Einige Patienten wurden sogar schon verhört.«
Stig hatte also Recht gehabt. Die Polizei tat, was sie konnte, doch offenbar ohne Resultat. »Haben Sie sich auch unsere Datenbank angesehen?«
»An Maja ist wirklich ein Privatdetektiv verloren gegangen«, sagte Ove mit schelmischem Grinsen.
»Nein, nein«, wehrte sie errötend ab. Sie verfluchte sich für ihren Übereifer. »Ich habe nur gefragt, weil sie auch bei uns in der Praxis waren. Ich habe unser Patientenregister nach den Substanzen durchsucht, an denen sie interessiert waren.«
»Bei uns haben sie nach einem bestimmten Täterprofil gesucht«, sagte Kirsten.
»Ein Täterprofil, mit dem sie sich noch sehr lange beschäftigen können«, warf Claus, ein Psychologe, ein, der Maja gegenübersaß.
Sie kannte ihn nur flüchtig. Er hatte auf der Abteilung begonnen, als sie ihre letzten Tage absolviert hatte. Claus war ein paar Jahre älter als sie, groß gewachsen mit sanftem Blick und dunklen, lockigen Haaren. Ein klassischer Beau. Ein klassischer oberhammergeiler Beau, wie sie damals gefunden hatte.
»In aeternum«, sagte Ove salbungsvoll
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