Die Geisel
auf dem Parkplatz. Es war schon Abend, ihre Körper warfen lange Schatten auf den Asphalt. Larsen legte dem weinenden Mann, der verdächtigt worden war, tröstend den Arm um die Schultern. Maja und er sahen sich an. Sie versuchte gleichzeitig zu lächeln und zu winken, wobei sie sich ziemlich ungeschickt anstellte. Larsen wandte den Blick ab, ohne eine Miene zu verziehen.
Plötzlich bekam sie ein schlechtes Gewissen, obwohl es doch nicht ihre Schuld gewesen war, dass die Polizei den Mann verdächtigt und festgenommen hatte. Er war ja auch sofort wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Dennoch begriff sie, wie erniedrigend es sein musste, jedes Mal an einer Gegenüberstellung teilnehmen zu müssen, wenn sich in der Gegend ein Verbrechen ereignete. Das war bestimmt nicht gerade hilfreich, um selbst wieder auf die Beine zu kommen.
»Jetzt steht er da und heult«, sagte der eine Beamte. »Ich kann mich noch gut daran erinnern, warum wir den damals eingebuchtet haben.«
»Aha«, sagte Maja, woraufhin der Beamte fortfuhr. »Der hat einem Siebenjährigen in einem Spielhäuschen den Schwanz gelutscht. Den hätte man nie wieder rauslassen dürfen, wenn ihr mich fragt.«
Sie setzte sich ins Auto und fuhr an den drei Männern vorbei, die ihr verstohlene Blicke zuwarfen.
18
Die Villengegend wurde von den letzten Strahlen der Sonne in rötliches Licht getaucht. Zwei Mitglieder der Bürgerwehr hatten sich an der Straßenecke postiert. Der Jüngere von ihnen schwang einen Baseballschläger durch die Luft, während der andere einen prüfenden Blick in Majas Auto warf. In der Führung der Bürgerwehr war man sich darin einig geworden, dass es weitaus effektiver war, Kontrollposten an strategisch ausgewählten Punkten einzurichten, statt aufs Geratewohl durch die Straßen zu patrouillieren. Auf diese Weise ließ sich auch viel besser kontrollieren, ob sich irgendwelche unbekannten Gesichter im Viertel zeigten. Die Männer von der Bürgerwehr winkten, als sie Maja erkannten. Sie begnügte sich mit einem Kopfnicken. Sie kam sich allmählich so vor, als wohne sie in Bagdad.
Maja hielt in der Einfahrt und sah, wie die Polizisten ihren Wagen auf der anderen Straßenseite parkten. Dort würden sie sitzen bleiben, bis sie im Lauf der Nacht von zwei Kollegen abgelöst wurden. Sie gewöhnte sich so langsam an ihre Gegenwart und musste an die Geschichte von Peter Pan denken, der seinen Schatten verloren hatte. Sie selbst hatte nun gleich mehrere.
Als sie die Haustür öffnete, lärmte sofort die Alarmanlage los. Beim schrillen Heulton fuhr sie zusammen und hätte sich fast in die Hose gemacht. Stig lief ihr sofort entgegen.
»Hallo, Schatz, sie funktioniert!«, rief er.
Auf dem Bedienteil, das sich neben der Haustür befand, tippte er rasch einen Zahlencode ein. Der Heulton erstarb. Stig machte eine abwehrende Geste zu den beiden Polizisten, die bereits aus dem Auto gesprungen waren. Sie nickten und stiegen wieder ein.
»Ist eine Ratte in die Falle gegangen?«, fragte Jakob, der in diesem Moment aus dem Flur erschien. Er lächelte breit und zeigte seine nikotingelben Zähne. Er trug einen blauen Schlosseranzug und Holzschuhe. Maja fragte sich sofort, wie viele Abdrücke er wohl im Parkett zurückgelassen hatte. Sie schaute ihn kopfschüttelnd an. »Der Ratte ist leider gerade das Trommelfell geplatzt.«
»Aber die Sache funktioniert! Wir sehen uns morgen bei der Wache, Stig.« Er machte eine Geste, als würde er ein Gewehr laden. »Laden, Durchladen, so, und jetzt könnt ihr’s euch hier gemütlich machen.«
»Laden, Durchladen. Und vielen Dank für die Hilfe«, entgegnete Stig und hielt ihm die Tür auf.
Sie saßen am kleinen Küchentisch und aßen zu Abend. Genauer gesagt, Stig aß zu Abend, Maja hatte keinen Hunger. Sie erzählte von der Gegenüberstellung auf dem Polizeirevier. Stig wunderte sich darüber, dass sie ihn nicht angerufen hatte. Er wäre gerne dabei gewesen. Sie erklärte, es sei alles so schnell gegangen.
»Trotzdem«, entgegnete er. »Wenn sie das nächste Mal einen Verdächtigen festnehmen, rufst du mich gleich an.«
Sie nickte. »Mach ich, Schatz.« Sie starrte auf ihren Teller und stocherte im Hühnchen herum. »Obwohl das bestimmt ein bisschen dauern wird.«
»Wie meinst du das?«
»Die Polizei tappt völlig im Dunkeln.«
Stig ließ die Gabel vor seinem Mund in der Luft hängen. »Bist du sicher?«
Sie nickte. »Die haben überhaupt keine Spur, die sie verfolgen könnten. Wenn er sich also
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