Die Geisha - Memoirs of a Geisha
Töchtern verbunden war. Gab es irgendeinen Grund zu der Annahme, er würde sich einem unehelichen Sohn nicht letztlich ebenso verbunden fühlen – genug vielleicht, um vor dem Tod seine Meinung zu ändern und ihm das Unternehmen zu überschreiben, das er aufgebaut hatte? Was nun die Frage betrifft, ob ich dem Direktor tatsächlich einen Sohn geboren hatte oder nicht… Nun, wenn dem so wäre, würde ich zweifellos nicht gern über ihn reden, weil ich befürchten müßte, daß die Öffentlichkeit davon erführe. Und das läge bestimmt nicht im Interesse irgendeines der Beteiligten. Das beste ist es meiner Ansicht nach, gar nichts darüber zu sagen, und ich bin sicher, daß Sie mich verstehen.
Ungefähr eine Woche nachdem Nishioka Minoru seine Meinung geändert hatte, beschloß ich, dem Direktor gegenüber ein äußerst heikles Thema anzuschneiden. Wir waren im Eishin-an und saßen nach dem Abendessen auf der Veranda mit dem schönen Blick auf den Moosgarten. Der Direktor brütete finster vor sich hin und hatte, bis das Abendessen aufgetragen wurde, kein einziges Wort gesprochen.
»Habe ich bei Danna-sama schon erwähnt, daß ich in letzter Zeit ein wirklich sehr seltsames Gefühl hatte?« begann ich.
Dabei warf ich ihm einen kurzen Blick zu, konnte aber nicht ausmachen, ob er mir zuhörte.
»Ich muß immer wieder ans Ichiriki-Teehaus denken«, fuhr ich fort, »und ehrlich gesagt, wird mir allmählich klar, wie sehr ich es vermisse, als Geisha zu arbeiten.«
Der Direktor nahm schweigend einen Mundvoll von seinem Eis und legte den Löffel auf den Teller zurück.
»In Gion kann ich natürlich nicht wieder arbeiten, das ist mir klar. Aber ich frage mich, Danna-sama…, ob es in New York nicht vielleicht Platz für ein kleines Teehaus gäbe.«
»Ich weiß nicht, wovon du redest«, antwortete er. »Und ich sehe keinen Grund, warum du Japan verlassen solltest.«
»Heutzutage tauchen japanische Geschäftsleute und Politiker in New York so häufig auf wie Schildkröten in einem Teich«, sagte ich. »Die meisten davon sind Herren, die ich seit Jahren kenne. Es stimmt, Japan zu verlassen wäre eine sehr drastische Veränderung. Aber da Danna-sama wohl immer mehr Zeit in den Vereinigten Staaten verbringen wird…« Das wußte ich, weil er mir bereits von seinem Plan erzählt hatte, dort eine Niederlassung seines Unternehmens zu gründen.
»Ich bin nicht in der Stimmung für so etwas, Sayuri«, begann er. Ich glaube, er wollte noch mehr sagen, aber ich fuhr fort, als hätte ich nichts gehört.
»Ein Kind, das zwischen zwei Kulturen aufwächst, heißt es, hat es fast immer sehr schwer«, sagte ich. »Also wäre es von einer Mutter, die mit ihrem Kind an einen Ort wie die Vereinigten Staaten umzieht, vermutlich klug, sich dort ihr endgültiges Heim einzurichten.«
»Sayuri…«
»Das heißt«, fuhr ich fort, »daß eine Frau, die sich zu einem solchen Schritt entschließt, ihr Kind überhaupt nicht mehr nach Japan zurückbringen würde.«
Inzwischen mußte der Direktor begriffen haben, worauf mein Vorschlag abzielte: daß ich das einzige Hindernis aus Japan entfernen wollte, das Nishioka Minorus Adoption als Erbe im Weg stand. Sekundenlang starrte er mich verwundert an. Doch als ihm dann allmählich klarwurde, daß ich ihn verlassen wollte, schien seine mürrische Laune aufzuplatzen wie ein Ei, und eine einzelne Träne quoll ihm aus dem Augenwinkel, die er so schnell wegzwinkerte, als verscheuchte er eine Fliege.
Im August desselben Jahres ging ich nach New York, um mein eigenes winziges Teehaus für japanische Geschäftsleute und Politiker einzurichten, die sich in den Vereinigten Staaten aufhielten. Mutter wollte natürlich festschreiben, daß jedes Geschäft, das ich in New York begann, als Zweigstelle der Nitta-Okiya zu gelten habe, aber der Direktor schlug ihr ein solches Ansinnen rundweg ab. Mutter besaß zwar Macht über mich, solange ich in Gion blieb, doch indem ich auswanderte, durchschnitt ich endgültig jede Verbindung mit ihr. Der Direktor schickte zwei seiner Buchprüfer zu ihr, um zu gewährleisten, daß Mutter mir auch noch den letzten Yen aushändigte, der mir zustand.
Ich kann nicht verhehlen, daß mir vor vielen Jahren, als sich die Tür zu meinem Apartment hier im Waldorf Astoria zum erstenmal hinter mir schloß, bange zumute war. Aber New York ist eine aufregende Stadt. Nach kurzer Zeit fühlte ich mich dort mindestens so sehr zu Hause wie in Gion. Ja, rückblickend möchte ich sagen, daß mir
Weitere Kostenlose Bücher