Die Geisha - Memoirs of a Geisha
jeder andere. Dort trafen wir uns an drei oder vier Abenden pro Woche, zuweilen sogar noch öfter, und verbrachten die Nacht miteinander. An den Tagen, an denen er besonders viel zu tun hatte, kam er so spät, daß er sich nur noch in einem heißen Bad ausruhen wollte, während ich mich mit ihm unterhielt, um dann anschließend einzuschlafen. An den meisten Tagen traf er etwa bei Sonnenuntergang oder kurz danach ein und verzehrte sein Abendessen, während ich plauderte und zusah, wie die Dienerinnen im Garten die Laternen anzündeten.
Gewöhnlich sprach der Direktor, wenn er eintraf, zunächst eine Zeitlang über seinen Arbeitstag. So erzählte er mir etwa von den Problemen mit einem neuen Produkt oder von einem Verkehrsunfall, in den eine Lkw-Ladung mit Bauteilen verwickelt worden war, oder ähnliches. Ich war es natürlich zufrieden, dazusitzen und ihm zuzuhören, aber mir war durchaus klar, daß mir der Direktor diese Dinge nicht erzählte, weil er wollte, daß ich sie wußte, sondern um seine Gedanken von ihnen zu leeren, wie man Wasser aus einem Eimer leert. Deswegen lauschte ich nicht so sehr seinen Worten als vielmehr dem Ton seiner Stimme, denn genau, wie der Ton heller wird, je weiter sich der Eimer leert, konnte ich hören, wie die Stimme des Direktors weicher wurde, je länger er sprach. Sobald der richtige Moment gekommen war, wechselte ich das Thema, und bald unterhielten wir uns nicht mehr über so ernste Dinge wie das Geschäft, sondern über alles mögliche, zum Beispiel das, was ihm am Morgen auf dem Weg ins Büro begegnet war, über einen Film, den wir vielleicht ein paar Abende zuvor in Eishin-an gesehen hatten, oder ich erzählte ihm eine lustige Geschichte, die ich etwa von Mameha gehört hatte, die sich an manchen Abenden zu uns gesellte. Wie dem auch sei, diese einfache Methode, die Gedanken des Direktors freizumachen und ihn dann mit verspielter Konversation zum Entspannen zu bringen, hatte die gleiche Wirkung wie Wasser auf ein Handtuch, das in der Sonne steifgetrocknet ist. Wenn ich ihm bei seinem Eintreffen die Hände mit einem heißen Tuch wusch, fühlten sich seine Finger so steif an wie dicke Zweige; nachdem wir eine Weile geplaudert hatten, bewegten sie sich so leicht und graziös, als läge er in tiefem Schlaf.
Ich erwartete, mein Leben werde so weitergehen, ich würde abends den Direktor unterhalten und mich tagsüber beschäftigen, so gut ich konnte. Im Herbst 1952 begleitete ich den Direktor jedoch auf seiner zweiten Reise in die Vereinigten Staaten. Er war im Winter zuvor schon einmal dort gewesen, und kein anderes Erlebnis hatte einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht – er sagte, er habe das Gefühl, zum erstenmal die wahre Bedeutung des Wortes Wohlstand zu begreifen. Die meisten Japaner hatten zu jener Zeit zum Beispiel nur zu bestimmten Stunden Strom, die Lichter in den amerikanischen Großstädten brannten jedoch rund um die Uhr. Und während wir in Kyoto stolz darauf waren, daß der Boden unseres neuen Bahnhofs aus Beton bestand statt aus altmodischem Holz, bestanden die Böden der amerikanischen Bahnhöfe aus massivem Marmor. Selbst in amerikanischen Kleinstädten seien die Kinos so grandios wie unser Nationaltheater, berichtete der Direktor, und die öffentlichen Toiletten seien überall blitzblank. Was ihn jedoch am meisten verblüffte, war die Tatsache, daß in den Vereinigten Staaten jede Familie einen Kühlschrank besaß, den sie sich mit dem Lohn eines durchschnittlichen Arbeiters innerhalb von nur einem Monat anschaffen konnte. In Japan brauchte ein Arbeiter fünfzehn Monatslöhne, um so ein Ding zu kaufen, und nur wenige Familien konnten sich das leisten.
Wie dem auch sei, der Direktor gestattete mir, ihn auf der zweiten Reise nach Amerika zu begleiten. Mit der Eisenbahn reiste ich allein nach Tokyo, von dort flogen wir zusammen mit einer Maschine nach Hawaii, wo wir ein paar bemerkenswerte Tage verbrachten. Der Direktor kaufte mir einen Badeanzug – den ersten, den ich besessen habe –, und so saß ich darin am Strand, während mir die Haare, genau wie bei den anderen Frauen ringsum, glatt frisiert auf die Schultern hingen. Hawaii erinnerte mich seltsamerweise an Amami. Ich war besorgt, der Direktor könne denselben Eindruck haben, doch wenn dem so war, erwähnte er es nicht. Von Hawaii ging es dann weiter nach Los Angeles und schließlich nach New York. Von den Vereinigten Staaten wußte ich nicht sehr viel, nur das, was ich im Kino gesehen hatte; ich habe
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