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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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kleiner Junge ist tot, Señora, leider. Er ist an einem Fieber gestorben.«
    Doña Maria del Roser wurde in dem Lehnsessel unruhig und runzelte die Stirn.
    »Wie lange ist das her?«
    »Drei Tage«, berichtete die Cousine. »Wir haben ihn gestern beigesetzt.«
    Da tat diese feine Dame etwas, was Concha äußerst ungewöhnlich vorkam und ihr Unbehagen bereitete: Sie wischte sich die Augenwinkel. Concha stellte mehr als überrascht fest, dass der Señora genauso Tränen in den Augen standen wie ihr selbst. Bis zu diesem Augenblick hatte sie immer gemeint, vornehme Leute würden so etwas nicht tun. Dann stand die Señora auch noch auf, trat zu ihr hin und griff nach ihren Händen, als wäre sie ihre Tochter.
    »Armes Mädchen«, flüsterte sie, »und da hast du noch die Kraft, dir eine Stelle zu suchen, nach diesem Unglück?«
    »Mir bleibt nicht anderes übrig, Señora.«
    Die Hausherrin umfing sie mit ihren Armen. Concha war so verblüfft, dass sie stocksteif wurde. Seit langem hatte niemand sie mehr umarmt. Aus der Tiefe der zarten Berührung mit der weichen, wohlriechenden Wolle hörte sie ihre Cousine sagen: »Conchita ist ein guter Mensch, Señora, Sie werden es schon sehen. Und ihren Sohn hat sie in Anstand empfangen, mit dem Sakrament der Ehe. Aber sie ist ein Pechvogel. Letztes Jahr ist ihr Mann gestorben.«
    Das brachte das Fass zum Überlaufen. Concha spürte plötzlich, wie ihre Kräfte sie verließen, und sie brach in Tränen aus. Sie beruhigte sich erst, als die Señora ihr das Kinn hielt, die Tränen von den Wangen wischte und sagte: »Du kannst schon heute hierbleiben, wenn du magst. Mein Sohn benötigt jemanden wie dich, eine junge, starke Frau mit einem guten Herzen. Du musst ihm für mich das Leben retten, denn ich kann ihm nichts geben.«
    »Ich werde es versuchen, Señora.«
    »Und ich werde alles dafür tun, damit du vergisst, dass du nur deshalb hier bist, weil dir nichts anderes übrigbleibt.«
    Zuerst ein Schweigen, dann ein Austausch von Blicken, eine unerhörte Vertrautheit, die zwischen den beiden Frauen einen Pakt besiegelte, der keiner Worte bedurfte.
    »Warte, ich will, dass du ihn sofort kennenlernst«, bat die Señora und holte den kleinen Amadeo, der damals wenige Monate alt war.
    Ihre Schritte klackten, laut und entschlossen, über den Flur. Gleich darauf war sie wieder zurück. Lächelnd hielt sie Amadeo auf dem Arm und forderte Concha auf, ihn zu stillen. Die junge Frau, die soeben erst in dieses Haus gekommen war, übernahm den Säugling mit der gleichen Umsicht, mit der sie stets ihr eigenes Kind behandelt hatte, setzte sich auf einen Schemel und griff unter der verschlissenen Kleidung nach ihrer rechten Brust. Die Señora und die Cousine, die immer noch darauf wartete, dass Concha alles verdarb, beobachteten sie dabei.
    Amadeo war ein hagerer Winzling mit gelblicher Haut, der trotz des gesellschaftlichen Status seiner Familie bei der neuen Amme sofort Mitleid auslöste. Vielleicht, weil er schon beim ersten Versuch ihre Brustwarze fand und sogleich ansaugte, gierig und verzweifelt – genauso wie bei allem, was er zeit seines Lebens unternehmen sollte.
    »Gott sei dir gnädig, Conchita«, bedankte sich Doña Maria del Roser, die wieder kurz vor den Tränen stand, ehe sie fragte: »Was ist, Mädchen? Möchtest du etwas essen?«
    Sie hatte es niemandem gesagt, doch Concha hatte seit vier Tagen nichts mehr gegessen. Sie war bis auf die Knochen abgemagert. Sie selbst wunderte sich schon, wie sie mit ihrem gebeutelten Körper überhaupt noch in der Lage war, einen anderen Menschen zu nähren. Sie nickte schüchtern.
    Die Señora rief ein Dienstmädchen herbei.
    »Bitte, sag Eutimia, dass sie kurz hochkommen soll«, ordnete sie an.
    Eutimia hatte die vierzig längst überschritten. Sie war klein und wohlgenährt und mit ihrer derben Art und ihrer spitzen Zunge nur dann freundlich, wenn es ihr passte. Die geröteten Wangen und die natürliche Bräune verrieten ihre bäuerliche Herkunft, und sie verströmte den Geruch von Heu und Lavendel. Anweisungen erteilte sie mit dem Selbstverständnis und der Macht eines Schiffskapitäns. Schließlich unterschied sich ihre Rolle in dem Haushalt kaum von der eines alten Seebären auf seinem Dampfer: Seit mehr als zwei Jahrzehnten schon wirkte sie als Haushälterin und kannte alle Geheimnisse des Gemäuers und seiner Bewohner, deren Details die Señora niemals erfahren würde. Ihre Geltungsbefugnis begann an der Tür zu den Küchen und erstreckte

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