Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
kümmern.«
Mit diesen Worten war für sie das Gespräch beendet – wie immer, wenn es ihr genehm war –, und sie verließ das Klavierzimmer.
Concha war von ihrem ersten Tag an im Hause Lax glücklich. Doña Maria del Roser war mit ihr in den wenigen Stunden ihres Aufenthalts in der Familie besser umgegangen, als das ganze Leben zuvor sie jemals behandelt hatte. Und dies nicht nur, weil sie ihr Essen und einen warmen und trockenen Ort zum Schlafen anbot, sondern weil das Leben hier irgendwie so weit weg von allem war, was die junge Frau bis dahin erlebt hatte. Concha überkam fortwährend das Gefühl, Teil einer dieser wunderbaren Geschichten zu sein, die sie als Mädchen gehört hatte. Ein märchenhaftes Leben, so erschienen ihr die ersten Wochen im Hause Lax. Nach und nach gewöhnte sie sich an alles – an die Familie, an die merkwürdigen Gewohnheiten einiger ihrer Mitglieder und selbstverständlich auch an die Wünsche von Amadeo, den sie wie ihren eigenen Sohn liebte – vielleicht aus dem Bedürfnis heraus, etwas mit dieser übergroßen Liebe anzufangen, die so plötzlich unerwidert geblieben war.
Doch am meisten kostete es sie, sich an die Präsenz von gewissen Hausbewohnern zu gewöhnen, die ihr wie Geister vorkamen. Sie tauchten auf einmal auf irgendeiner Türschwelle oder mitten im Flur auf, ohne Geräusche zu verursachen, und wie aus der Luft gekommen betrachteten sie sie mit abwesendem Gesichtsausdruck und lösten sich sogleich wieder auf, in einem tristen und einsamen Schweigen. Sie begriff, dass dies Relikte aus anderen Zeiten waren, Wesen auf dem Rückzug, denen jegliches Anzeichen für eine Erneuerung – junge Hausangestellte oder Kinder – ebenso beunruhigend vorkommen musste wie sie selbst den meisten Sterblichen.
»Geister sind neugierig auf Neues, aber sie fürchten sich auch davor. Deshalb kreisen sie um die Wiegen herum, doch sie gehen niemals zu nahe heran«, hatte sie als Kind in ihrem Dorf sagen gehört.
Eine hagere Alte bewohnte im zweiten Stockwerk ein Zimmer, das so klein war, dass es einem Kleiderschrank glich. Diese Bewohnerin lebte so zurückgezogen und sie verließ ihre Kammer so selten, dass alle im Haus oft vergaßen, dass es sie dort überhaupt noch gab. Sie starb, als Concha erst einige Monate in ihrer neuen Stellung war, und die Trauerfeier wurde so schlicht gehalten, dass die Amme sie für eine Großtante oder noch weitläufigere Angehörige hielt. Niemand erklärte ihr jemals den Verwandtschaftsgrad der Verstorbenen. Wand an Wand lebten zudem zwei ledige Tanten, die man für Zwillingsschwestern gehalten hätte, wenn sie nicht mit mehr als fünfzehn Jahren Abstand auf die Welt gekommen wären. Die eine hieß Roberta, und von der anderen erfuhr Concha niemals den richtigen Namen, weil alle sie nur Mimí nannten. Trotz der Ähnlichkeit ihrer Gesichtszüge hätten Roberta und Mimí nicht unterschiedlicher sein können. Die Erste war ein spröder Typ mit dichtgewachsenen Augenbrauen, tiefer Stimme und dem Auftreten eines Pioniergenerals. Die jüngere Schwester hingegen war in einer ewigen Jugend, einer unbefriedigten Romantik, gefangen. Den ganzen Tag schmachtete sie, sah mit verlorenem Blick ins Weite und beschäftigte sich mit ihrem Stickrahmen. Nur Mimí lebte lange genug, um später mit in das neue Haus umzuziehen, wo sie kurze Zeit ein Zimmer im dritten Stockwerk bewohnte. Ihr Sterben verlief so diskret, dass manche ihr Ableben bezweifelten. Mehrere Jahre nach ihrem Tod hörte manch einer immer noch in ihrem Alkoven ihre Seufzer über versäumte Gelegenheiten.
Die Amme vermied es, allzu viel über diese alten Seelen nachzudenken. Es fiel ihr auch nicht weiter schwer: Die Jugend schmälert die Vergänglichkeit. Damals lebte Concha ausschließlich für Amadeo, in dem sie bald den Sohn sah, den ihr das Leben als Wiedergutmachung zugestand, weil es ihr so viel geraubt hatte. Nach Juans Geburt bot sie an, auch diesen Jungen zu stillen, weil sie meinte, ausreichend Milch für beide zu haben, aber die Señora wies ihr Angebot sanftmütig zurück: Diesmal konnte sie ihr Kind selbst nähren. Concha war damit glücklich und zufrieden, denn dieser Umstand gestattete ihr, für kurze Zeit die Rollen zu tauschen und die Señora in die Geheimnisse des Stillens einzuweihen, in denen sie eine Meisterin war. Gleichzeitig wusste Maria del Roser Golorons die Arbeit ihrer treuen Conchita immer mehr zu schätzen, und zwischen den beiden Frauen entstanden Bande, die keine der beiden
Weitere Kostenlose Bücher