Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
und sich nicht ohne eigene Fehleinschätzungen oder auch durch leichtgläubiges Vertrauen auf manche Berater oder seine eigenen Fähigkeiten zum „corriger la fortune“ durch erzählerisches Vermögen oder prozessuale Narrative auf eine vielfache Zahl von Gegnern und Prozessen zuweilen, wie man heute sagen muss, ein Stück weit sehr gutgläubig bis naiv einließ, dann musste sich das auch auf seine Beziehungen zu Freunden wie Dittrich, Fehsenfeld, Sascha Schneider, um nur diese zu nennen, auswirken. Emmas Porträt, ihre heikle Beziehung zu Klara und anderen Frauen, tritt ebenfalls zutage. Und es ist besonders hervorzuheben, dass der Autor Klaus Funke sich keinen Illusionen und keinen Beschönigungen hingibt. Mays Eheleben war namentlich in den letzten Jahren, schon zur Zeit der Freundschaft mit Fehsenfeld, kein von Harmonie und Eintracht geprägter friedensreicher Hafen. Wenn Karl May Fehsenfelds opulente Honorzahlungen seiner Emma nicht immer offenlegte, so ist gewiss gleichermaßen der Umstand, dass es der mit einiger egoistischer Schläue gesegneten Emma mit einträchtiger Hilfe von Mays späterer Frau Klara gelingen konnte, sich in den 90er-Jahren 36 000 Goldmark (die man nach heutigem Gelde gut und gerne mit dem Zehnfachen oder mehr multiplizieren darf!) als „Notgroschen“ hinter dem Rücken ihres Mannes beiseitezuschaffen, schon recht bemerkenswert – von allen anderen psychologisch auffallenden Zügen und hintergründigen Verstrickungen dieser Strindberg’schen Ehe, deren sinistres Ende nicht nur tragische Züge aufweist, einmal ganz abgesehen.
Wohlgemerkt: ein Roman ist keine Biografie, kein historisches Sachbuch. Er lebt von der historisch geprägten, gleichwohl durch die schriftstellerische Eingebungskraft genährten besonderen Perspektive und Gestaltung. Funke richtet sein scharfsinniges Augenmerk oder auch sein literarisches Periskop auf geschickt durch spannungsreiche Wechsel von der Gegenwart in die Vergangenheit geprägte Szenen. Sein Blick ist menschlich, verständnisvoll, auch kritischer, als mancher vielleicht bei einem von Zeitgenossen und Nachgeborenen so gefeierten bis angebeteten und verherrlichten Autor erwarten würde. Es ist der erfahrene Blick eines mit sensibler Empathie und einem hervorragenden Sinn für charakteristische Szenen und Episoden ausgestatteten Schriftstellers, und wer genau hinsieht, wird auch entdecken, bei welchen Figuren seine heimlichen Sympathien liegen mögen, wie er die Stärken und Schwächen der Persönlichkeiten nicht im Halbdunkel unklarer Bezüge belässt, sondern mit Präzision und mit hellen Scheinwerfern ausleuchtet, wer wann und wie dieses literarische Feld bevölkert. Wenn man so will, ist dieser Roman – und es gibt einige Vorläufer über Mays Leben – bei aller Erfindungskraft zugleich Ausdruck einer sehr sympathischen „neuen Sachlichkeit“ in der Beziehung zu Karl Mays Biografie und zu seinen im wahrsten Wortsinne merkwürdigen Begegnungen. Sie entspricht so auch der Historisierung, die angesichts der Biografie und des Gesamtwerks von Karl May notwendig ist, um sein Lebensbild und Werk sowohl aus dem Schlagschatten des angeblich bloßen Kolportageautors ebenso herauszulösen wie aus einer nur philologischen Werkbetrachtung oder der Ermittlung von biografischen Details.
Auf diese gekonnte und fesselnde Weise vermag ein historisch grundierter Roman nicht zuletzt auch die Fantasie des Lesers angesichts eines Panoramas zu animieren, dessen tragische wie tragikomische oder dramatische Nuancen die menschlichen Konflikte aufdecken, mag auch die „Realität“ eines Romans eine andere sein als die einer biografisch-historischen oder der philologischen Präzision von wie auch immer gelungenen literaturwissenschaftlichen Untersuchungen und immanenten Analysen, so kommt sie doch nicht minder einer höheren artistischen „Wahrheit“, wie sie auch dem Autor Karl May wie dem Künstler Sascha Schneider vorgeschwebt haben mag, so nahe wie nur irgend möglich.
Dr. Albrecht Götz von Olenhusen
Freiburg/Düsseldorf
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