Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
Glauben, zu Gott und zum Christentum nicht teilen kannst. Siehst du Sascha, so baut man eine Barriere auf, über die der andere nicht zu steigen vermag. Wie will er dir deinen Unglauben austreiben? Er muss es zur Kenntnis nehmen, es nährt seinen Widerwillen, es zeigt ihm, du bist nicht sein Mann, du bist nicht einer, den er mit der Grundbotschaft seines Werkes erreichen kann.
Doch bitte, hör weiter. Als Nächstes musst du stärker in diese Kerbe hauen. In die antireligiöse Kerbe. Du musst schreiben, dass du die Religion mit all ihren Interessen als ein Unheil für die Menschheit betrachtest, ja, das Wort „Unheil“ muss fallen. Religion und Unheil müssen in einem Atemzug genannt werden. Und du musst schreiben, dass die Religion wiederum der Kunst bedarf, um sich überhaupt mitteilen und spiegeln zu können. Das ist, verstehst du, ein Brücklein, über welches er gehen kann, dein alter Freund. Doch wenn er in der Mitte dieses Brückleins steht, stößt du ihn abermals von dir weg. Er muss, er wird hinabstürzen. Du musst schreiben, dass du, weil du Kunst und Religion in eine Aufgabe zwängst, die Einheit von Körper und Geist forderst, er sich aber mit seinem Werk ganz in die Welt des Geistes begeben hat. Nun, da du ihn förmlich in die Tiefe stürzen siehst, wirf ihm ein kleines dünnes Tau zu. Sag ihm, tröstend und versöhnlerisch, dass du ihm ja nichts vorwirfst, sag ihm, dass er gänzlich frei sei in seinen Ansichten, sag ihm, du wüsstest, seine Absichten wären hoch und edel und er glaube daran, und aus ihm, deinem May, könne ja nichts anderes als Edles und Reines kommen … und dann, wie zum Hohn, und um ihn tatsächlich in die Tiefe zu stoßen, fügst du an, aber du selber, Sascha Schneider, du könnest ihm dabei nicht folgen.
Nun nenne zum Beweis ein paar Fakten aus seinem Werk: die große Menge der Symbole, die Fülle der arabischen Namen, all das Fremde, führe an, dass seine Protagonistin Marah Durimeh eine alte Frau sei, eine uralte Schachtel, wo aber doch ein jugendlicher Geist, eine frische, junge Heldenfigur zur Erlösung und als Menschheitsseele gebraucht werde. Schreib ihm, frag ihn, warum er nur all diese Weiber zur Personifizierung des Guten bemühe. Und dann schwinge die Keule. Sag ihm, dass so viele sieghafte Weiber für dich den Triumph der Schwachen über die Starken bedeuteten. Der starke Abu Kital, von dem du ihm ein Porträt gezeichnet habest, dieser Abu Kital, der dir nahe sei, ausgerechnet der werde gebeugt von einem Weibe, dies sei dir zutiefst zuwider, schreibe ihm, du hättest einen männlichen Kampf erwartet und gewollt, so wie er das Leben vorgebe, schreib ihm, sein Werk propagiere die Schwachheit zum Prinzip, alles löse sich im Guten auf, so wie es immer die Weiber wollten, doch in der Kunst erschüttere nur die Tragödie die Menschen, schreib deinem Alten, so wie der Acker den Pflug brauche, so sei der Krieg für die Menschheit notwendig. Blut und Krieg und Wunden seien für die Erneuerung des Menschengeschlechts wichtig. Ja, solche starken Worte schreibe ihm, denn damit trennst du dich von ihm, der doch nur ein armseliger Pazifist geworden ist. Er wird erkennen, sein Geistesbruder Schneider ist nicht mehr sein Bruder, er hat sich von ihm entfernt, sein Bruder will das, was ihm das Schlimmste ist – Krieg und Gewalt als Entwicklungsprinzip. Während er die ewige Liebe und den ewigen Frieden träumt. Sag ihm, Feuer und Wasser gingen nun einmal nicht zusammen. Er wird erkennen, welchen Bärendienst er sich selber erwiesen, als er von dir die Besprechung seines Werkes verlangte, er wird erkennen, dass er dich verloren hat, und noch schlimmer, dass er dich schon früher verloren hatte, dass eure Geistesbruderschaft ein Irrtum war, ein Phantom, dass es sie nie wirklich gab. Das wird er erkennen, wenn er deinen Brief zu Ende gelesen und verstanden hat. Und dann, lieber Sascha, bist du endlich wieder frei. Er wird dich freigeben, nicht sofort und völlig, aber nach und nach und mit der Zeit. Und dann, mein Liebster, gehörst du mir ganz, so wie ich dir gehöre – und das wollen wir doch beide … und glaub mir, es ist gut so, denn dein May hat dich in Wahrheit doch nur ausgenutzt. Er hat dich benutzt und du hast dich benutzen lassen, für Geld, für viel Geld, Sascha, ich weiß das, so wie du es weißt. Er brauchte deinen Namen, deine Bekanntheit, deine Untadeligkeit, um seine Bücher und sich selber mit einem neuen Anstrich zu versehen, er wollte raus aus der Schmuddelecke
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