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Die Gejagte

Die Gejagte

Titel: Die Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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ansah, wusste sie, dass er es ernst meinte.
    Es war das Schrecklichste, was sie sich vorstellen konnte.
    Er hatte sie endlose Stunden lang beobachtet? Wie oft in ihrem Leben war er dabei gewesen, wenn sie gedacht hatte, sie sei allein?
    Diese einseitige absurde Vertrautheit erschreckte Jenny.
    »Ich bin in dich verliebt«, erklärte er schlicht. »Alles, was du tust, finde ich wunderbar.«
    »Du …«
    »Du brauchst nicht verlegen zu sein. Ich denke nicht auf die gleiche Weise wie du. Ob dein Haar gebürstet ist – ob du geschminkt bist – das ist mir alles egal. Außerdem« – er lächelte sie an –, »hast du denn gar nicht gewusst, dass ich da war?«
    »Natürlich nicht.« Und doch hatte sie es gewusst, begriff Jenny jetzt. Irgendwo tief in ihrem Innern hatte sie gewusst, dass sie beobachtet wurde. Sie war nur davon ausgegangen, dass alle dieses Gefühl hätten.
    Da waren diese Nächte, in denen sie voller Überzeugung aufgewacht war, dass eine große Gestalt über ihr in der
Dunkelheit stand; sie konnte sich nicht bewegen, konnte kaum atmen. Manchmal konnte sie die Gestalt tatsächlich sehen, ihre Silhouette, Schwarz gegen helleres Schwarz, und sie starrte sie an, bis ihre Augen schmerzten.
    Wenn sie dann endlich das Licht einschaltete, war die Gestalt verschwunden. Und Jenny saß noch lange da, atmete schwer und würgte an ihrer eigenen Angst.
    In dieser unnatürlichen, mitternächtlichen Helligkeit sah ihr Zimmer sehr seltsam aus. Irgendwie anders als tags über. Es dauerte sehr, sehr lange, bevor sie in der Lage war, das Licht wieder auszuschalten.
    Und ganz tief im Innern, in ihrem tiefsten Herzen, hatte sie stets das Gefühl gehabt, dass es echt war. Nicht nur ein Traum. Sie hatte das Ding über ihr mit offenen Augen gesehen, und es spielte keine Rolle, dass man in solcher Dunkelheit normalerweise gar nichts sehen konnte. Sie hatte die Gestalt trotzdem gesehen. Die Gestalt war da gewesen.
    Und Jenny hatte immer gedacht, dass es allen so erging, dass alle solche Dinge durchmachten.
    »Ich hasse dich«, flüsterte sie.
    »Ich dachte, dass du gerade jetzt meine Hilfe annehmen würdest.« Er deutete mit dem Kopf auf die leere Wand. »Das ist ein Albtraum – aber wie willst du hineinkommen? Denn wenn du nicht hineinkommen kannst, wie willst du dich ihm stellen?«
    Er will, dass du in Panik gerätst, sagte Jenny sich. Er will dir Angst machen, damit du denkst, dass du seine Hilfe brauchst.

    Aber sie brauchte sie nicht. Sie weigerte sich, seine Hilfe zu brauchen.
    Plötzlich lächelte sie. Sie konnte spüren, dass es ein schiefes Lächeln war. Sie hielt den graublauen Buntstift hoch.
    »Damit werde ich hineinkommen«, sagte sie und glättete das leere Blatt Papier in ihrer Hand.
    Seine Lider senkten sich erheitert, seine Stimme war eine Liebkosung. »Aber wie willst du dich erinnern? Du weißt nicht, was du zeichnen sollst. Du hast all diese Jahre versucht, es zu vergessen …«
    »Ich weiß genug«, sagte Jenny. Sie fragte sich, wie viel Julian über ihren eigenen persönlichen Albtraum wusste, vor dem sie so lange davongelaufen war. Und sie hatte das beängstigende Gefühl, dass sie es bald herausfinden würde.
    »Ich weiß, womit alles anfängt«, stellte sie fest. »Es fängt mit dem Keller meines Großvaters an, als ich fünf Jahre alt war.«
    Sie legte das Papier flach auf einen Spiegel, strich es glatt und begann zu zeichnen.

Das auf dem Spiegel so blasse Graublau verwandelte sich auf dem Papier in Grau.
    Jenny war keine Künstlerin, aber einfache Dinge konnte sie zeichnen. Ein Viereck – der Keller ihres Großvaters. Stufen, die über den oberen Rand des Bildes hinausliefen und ins Haus hinaufführten. Ein Schreibtisch an einer Wand. Ein Sofa. Drei oder vier große Bücherregale.
    Das war alles, woran sie sich erinnern konnte. Sie hoffte, dass es ausreichte.
    Mit einem Blick über die Schulter stellte sie fest, dass Julian wieder verschwunden war. Gut.
    Sie legte das Blatt Papier auf den Boden vor die leere Wand.
    Der grelle Lichtstrahl zielte direkt auf ihre Augen und ließ tanzende Nachbilder zurück. Wie ein Blitzlicht. Eins zu null für Zach, dachte sie. Als sie wieder sehen konnte, stand sie vor einem Spiegel.
    Es hatte funktioniert.
    Sie spürte ihren Herzschlag in der Brust, im Hals, bis hinein in ihre Handgelenke. Gott, lass mich nicht weglaufen.
    Nach so vielen Jahren, in denen sie alles dafür getan hatte, sich nicht zu erinnern, würde sie sich jetzt mitten
in ihre Erinnerung

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