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Die Gejagte

Die Gejagte

Titel: Die Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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bevor sie nach Kalifornien gekommen war. Sie wollte sich nicht erinnern.
    Sie spürte, wie sich ihr Magen vorahnungsvoll verkrampfte.
    Sie spürte außerdem die Wärme in ihren Wangen. Jetzt da sie außer Gefahr waren, jetzt da Zach wieder nur er selbst war, stellte sie fest, dass sie ihn mit anderen Augen sah. Es war Julians Schuld. Jenny wusste ganz genau, dass ihr Cousin niemals etwas anderes als verwandtschaftliche Gefühle für sie gehegt hatte – aber sie konnte nicht vergessen, was in der Dunkelkammer geschehen war. Wann immer sie Zach anschaute, erinnerte sie sich an diese grauen Augen, die vor Leidenschaft schwarz wurden.
    Irgendwann werde ich es vergessen, sagte sie sich. Es wird aufhören. Solange er es nicht erfährt.
    Laut sagte sie: »Wir müssen die anderen finden. Dee, Audrey und Mike wandern hier irgendwo herum. Ich schätze« – sie zögerte –, »ich schätze, wir sollten uns trennen. Aber ich habe Angst, dass wir uns vielleicht nicht mehr finden werden. Ich weiß, es scheint, als würde der Flur nur in diese zwei Richtungen laufen, aber hier kann man sich auf nichts verlassen.«
    »Warte mal.« Zach zog zwei Buntstifte aus der Brusttasche seines Flanellhemdes. »Ich habe sie mitgenommen, weil ich dachte, die Farben würden auf einem Foto vielleicht gut funktionieren. Such dir einen aus, graublau oder indischrot. Wir können eine Spur markieren.«
    Jenny entschied sich für den blauen und zeichnete einen
bleichen, wächsernen Streifen auf den nächsten Spiegel. »Genial«, sagte sie. »Ich werde in diese Richtung gehen und du gehst in die andere. Wer auf die drei anderen stößt, kann sie hierher zurückbringen.«
    »Hierher, wo die beiden Buntstifte sich treffen«, ergänzte Zach und begann, seine eigene Linie zu zeichnen. Immer noch zeichnend, ging er davon. Nach dem ersten Knick des Flurs war er außer Sicht.
    Kein Dankeschön, keine Verabschiedung. Nun, das sollte ihr helfen, die Szene in der Dunkelkammer zu vergessen. Zach war in der Tat wieder ganz er selbst.
    Sie machte sich auf ihren eigenen Weg und hinterließ ihre Buntstiftspur.
    Der verspiegelte Flur schien endlos – und vollkommen verlassen. Er führte weiter und immer weiter, ohne sich irgendwie zu verändern.
    Bis sie plötzlich das Ende erreichte.
    Eine Wand, grau wie Beton. Kein Spiegel, keine blaue Glühbirne, kein roter Knopf.
    Es machte ihr Angst.
    Auf dem Boden davor lag ein weißes Blatt Papier.
    Auch das machte ihr Angst.
    Jenny näherte sich dem Papier langsam. Dee, Audrey, Mike, Summer und Zach hatten ihre Albträume durchlebt. Und Julian hatte gesagt, Tom befände sich ganz oben im Haus.
    In diesem Stockwerk war nur noch ihr eigener Albtraum übrig.

    Sie hob das Blatt Papier auf und drehte es um. Sie erkannte das Gekritzel an den Rändern. Die Mitte war – leer.
    Jenny sah auf und betrachtete die leere Wand.
    »Brauchst du Hilfe?«, fragte Julian hinter ihr.
    Das Papier zerknitterte in Jennys geballter Faust, als sie sich umdrehte.
    Er lehnte an einem Spiegel. Er trug die glatte schwarze Körperpanzerung. Aber keinen Helm. Stattdessen leuchtete ein Spritzer Purpur in der Mähne seines weißen Haares, das ihm lässig über die Stirn fiel. Und da war ein dreieckiges blaues Muster auf seinem Wangenknochen, beinahe wie ein Siebdruck. Noch mehr Cyberpunk, dachte Jenny. Hightech-Körperkunst. Zach würde es lieben – oder vielleicht auch nicht mehr.
    Jenny blickte direkt in seine seltsamen, katzenartigen blauen Augen. Etwas hatte sich verändert, seit Julian die Bienen auf sie losgelassen hatte. Tief im Innern verspürte sie eine neue Zuversicht. Was auch immer er ihr antat – selbst wenn er sie tötete –, er konnte sie nicht brechen.
    »Also warst du es, der auf uns geschossen hat«, bemerkte sie.
    »Ich persönlich glaube, dass es Zachs Vater war. Ich glaube, er hatte einen kleinen Komplex. Der schroffe, altmodische Dad, der künstlerisch veranlagte, hypermoderne Sohn, du weißt schon. Aber andererseits – bin ich ein Jäger.« Er schob sich die purpurne Haarlocke aus den Augen und lächelte.

    »Warum verschwindest du nicht einfach?«, fragte Jenny. »Ich bin gerade dabei, etwas herauszufinden.«
    »Dabei helfe ich dir gern. Ich weiß eine Menge über dich. Ich beobachte dich jetzt schon seit so vielen Jahren. Stunde um Stunde, Tag um Tag.«
    Jenny erstarrte. Ähnliche Dinge hatte er schon vorher gesagt, aber sie hatte nicht wirklich hingehört. Oder es nicht wörtlich genommen. Aber als sie ihn jetzt

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