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Die Gejagte

Die Gejagte

Titel: Die Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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Muster, das einen vor dem Bösen beschützen sollte. Jennys Mutter hatte eins in der Küche, zur Dekoration.
    Aber was war mit dem Armband aus kobaltblauen und türkisfarbenen Perlen, die sich mit kleinen silbernen Amuletten abwechselten? Und den vergoldeten religiösen Bildern? Und der Holzflöte, die in ein Fell gewickelt war?
    Dient das alles dem Schutz vor irgendetwas?, dachte Jenny. Sie wusste nicht, was sie auf diese Idee brachte, aber je länger sie die Dinge in dem Bücherregal betrachtete, umso sicherer wurde sie.
    Aber … es ist nicht nur dieses Bücherregal. Langsam drehte Jenny sich um und ließ ihren Blick erneut durch den Keller schweifen. All diese Dinge – all diese schönen, exotischen Dinge –, konnten sie alle dem Schutz dienen?
    Aber wer brauchte so viel Schutz? Und warum?
    Während das kleine Mädchen eine große silberne Glocke in dem Bücherregal anfasste, zog eine Gruppe von Karten an der Wand Jennys Blick auf sich. Das thebanische Alphabet lautete die Überschrift der einen, und darunter befanden sich merkwürdige Symbole. Das Alphabet der Heiligen Drei Könige. Das geheime etruskische Alphabet. Das keltische Baumalphabet. Numerische Werte des hebräischen Alphabets. Da war außerdem die ziemlich Furcht einflößende
Gravur eines Skeletts, das einen Raben auf seiner knochigen Hand hielt.
    Das geisterhafte Kind setzte sich wieder in Bewegung und schlenderte zu dem großen Schreibtisch hinüber. Die Kleine stellte sich in ihren Flipflops auf die Zehenspitzen und stützte die Ellbogen auf die Schreibtischunterlage aus Filz. Jenny schaute durch einen durchsichtigen blonden Kopf auf die dort liegenden Papiere hinab.
    Es waren Unmengen von Blättern – die für die fünfjährige Jenny nicht von Interesse waren, außer dass sie sie nicht anfassen durfte. Im Reiz des Verbotenen lag der größte Spaß.
    Die sechzehnjährige Jenny aber konnte die Papiere entziffern. Eins davon war eine Karte wie die an der Wand. Sie trug den Titel Das ältere Futhark und Jenny erkannte die schrägen eckigen Symbole darauf.
    Runen.
    Wie die, die sie auf den Trinkhörnern der jungen Männer im Wald gesehen hatte. Wie das auf der Deckelinnenseite der weißen Schachtel. Neben jeder einzelnen Rune stand in der starken Handschrift ihres Großvaters ein Name geschrieben, zusammen mit ein paar Notizen.
    Uruz, las sie. Zum Durchdringen des Schleiers zwischen den Welten. Sie erkannte das umgedrehte U, die beiden ungleichmäßigen, nach unten gerichteten Hörner.
    Raidho  – es war geformt wie ein R, ohne irgendwelche geschwungenen Linien – für die Reise in Raum und Zeit.

    Dagaz sah aus wie eine auf die Seite gelegte Sanduhr. Für das Erwachen.
    Eine der Runen war dick umkringelt.
    Nauthiz, las Jenny. Geformt wie ein nach hinten geneigtes X, wobei ein Strich länger war als der andere. Für die Beherrschung.
    Das letzte Wort war dick unterstrichen.
    Jenny sah sich noch einmal im Kellerraum um.
    Oh Gott. Jetzt konnte sie die Augen nicht länger vor der Wahrheit verschließen. Sie hatte versucht, sich die Wahrheit vom Leib zu halten, hatte sich geweigert, ihr ins Auge zu sehen, aber jetzt überfiel die Wahrheit sie mit voller Wucht. Und wurde zur absoluten Gewissheit. Es gab keine Möglichkeit, es zu leugnen.
    Er war ein Magier gewesen.
    Der Vater ihrer Mutter war ein Magier gewesen.
    Denk nicht darüber nach … erinnere dich nicht, flüsterte die Stimme in ihrem Kopf. Niemand kann dich zwingen, dich zu erinnern. Bleib in Deckung hinter deinen Mauern, oder aber …
    Von jetzt an würde alles sehr schlimm werden, das war ihr klar.
    Sie musste sich erinnern – für Tom. Aber Toms Bild wollte nicht vor ihren Augen auftauchen. So viel war geschehen, seit sie ihn gestern Abend zum letzten Mal gesehen hatte – konnte es wirklich erst gestern Abend gewesen sein? In der Zwischenzeit hatte sich so viel verändert. Sie hatte sich verändert. Sie versuchte, sein verwegenes Lächeln
heraufzubeschwören, seine grün gesprenkelten Augen, aber das Bild, das sie sah, war wie eine ferne, verblasste Fotografie. Jemand, den sie vor langer Zeit gekannt hatte.
    Oh Gott, ich fühle gar nichts mehr für ihn.
    Ihre Handflächen kribbelten. Ihr war übel.
    Ich muss mich trotzdem erinnern. Für Dee. Für Zach. Für Audrey und Michael – und Summer. Ja. Für Summer.
    Sie alle hatten sich ihren Albträumen gestellt. Selbst Summer hatte es versucht. Erinnerungsfetzen huschten durch Jennys Kopf. Dee, die sich wand wie ein Tier; Audrey,

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