Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
Ihre Mutter hatte ihr den neuesten Mac gekauft, nicht so ein reduziertes Stück Schrott! Und Max Barthillet betrachtete selig den Hunderteuroschein, den Shirley zusammen mit ein paar Weihnachtswünschen in einen Umschlag gesteckt hatte.
»Verdammt!«, dankte er ihr mit einem strahlenden Lächeln. »Du bist so klasse, Shirley, du hast an mich gedacht! Darum is Maman auch nicht da … Sie hat gewusst, dass du feierst, und hat mir nix gesagt, um mich zu überraschen.«
Joséphine sah Shirley an und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. Dann gab sie ihr ihr Geschenk: Eine englische Erstausgabe von Alice im Wunderland , die sie auf dem Flohmarkt gefunden hatte. Und Shirley überreichte ihr einen wunderschönen Rollkragenpullover aus schwarzem Kaschmir.
»Damit du in Megève eine große Show abziehen kannst!«
Jo umarmte sie. Shirley entspannte sich für einen kurzen Moment, wodurch sie mit einem Mal leicht und sanft wirkte. »Wir beide sind schon ein tolles Team«, flüsterte sie. Joséphine wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, und drückte sie fester.
Gary schnappte sich Hortenses Computer und zeigte ihr, wie er funktionierte. Max und Zoé beugten sich über die Disneyfilme.
»Du schaust immer noch Zeichentrickfilme?«, fragte Jo Max.
Er schaute mit dem verzückten Blick eines kleinen Jungen zu ihr auf, und sie spürte, wie ihr schon wieder die Tränen kamen. Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu einem Brunnen werde, dachte sie. Das
Fest, vor dem sie sich so gefürchtet hatte, weil Antoine nicht dabei sein würde, war schöner, als sie je zu hoffen gewagt hatte. Shirley hatte einen Weihnachtsbaum aufgestellt und ihn geschmückt. Der Tisch war mit Stechpalmenzweigen, Schneeflocken aus Wattebäuschen und Goldpapiersternen dekoriert. In hölzernen Kerzenhaltern brannten schlanke rote Kerzen und verliehen dem Raum einen märchenhaften Glanz.
Sie öffneten eine Flasche Champagner und vertilgten den mit Kastanien gefüllten Truthahn und als Nachtisch die traditionelle Bûche de Noël mit Schokolade-Mokka-Geschmack nach Shirleys Geheimrezept. Nach dem Essen schoben sie den Tisch zur Seite und tanzten.
Gary forderte Hortense auf, und die beiden Mütter schauten ihnen, an ihrem Champagner nippend, zu.
»Die beiden sind so ein süßes Paar«, sagte Jo, die schon ein wenig beschwipst war. »Hast du gesehen: Hortense hat sich überhaupt nicht lange bitten lassen. Ich finde sogar, dass sie ein bisschen zu eng mit ihm tanzt!«
»Weil sie weiß, dass er ihr helfen wird, ihren Computer einzurichten.«
Joséphine knuffte sie mit dem Ellbogen in die Seite, und Shirley schrie vor Überraschung leise auf.
»Leg dich nicht mit Karate Woman an, das könnte dir noch leid tun!«
»Dann hör du auf, überall nur das Schlechteste zu vermuten!«
Joséphine hätte am liebsten die Zeit angehalten, diesen glücklichen Moment gepackt und ihn in Flaschen abgefüllt. Das Glück, dachte sie, besteht aus kleinen Dingen. Man glaubt immer, es müsse sich mit Pauken und Trompeten ankündigen, aber tatsächlich kommt es auf seinen schmächtigen Beinchen daher und kann vor unserer Nase vorbeilaufen, ohne dass wir es bemerken. An jenem Abend packte sie das Glück und ließ es nicht mehr los. Durch das Fenster sah sie die Sterne am Himmel und prostete ihnen zu.
Schließlich wurde es Zeit, sich zu verabschieden und ins Bett zu gehen.
Sie standen schon an der Tür, als Madame Barthillet kam, um Max abzuholen. Ihre Augen waren gerötet, und sie behauptete, beim Verlassen
der Métro sei ihr ein Staubkorn ins Auge geflogen. Stolz präsentierte Max ihr seinen Hunderteuroschein. Madame Barthillet dankte Shirley und Jo dafür, dass sie sich um ihren Sohn gekümmert hatten.
Jo hatte große Mühe, die Mädchen dazu zu bringen, sich hinzulegen. Sie sprangen auf ihren Betten herum und schrien vor Freude beim Gedanken daran, am nächsten Morgen nach Megève zu fahren. Zoé kontrollierte zehnmal hintereinander, ob ihr Koffer auch voll war und sie wirklich nichts vergessen hatte. Endlich gelang es Jo, sie einzufangen, sie dazu zu bringen, den Schlafanzug anzuziehen, und sie ins Bett zu verfrachten. »Ich bin blau, Maman, total blau!« Sie hatte zu viel Champagner getrunken.
Im Badezimmer reinigte Hortense ihr Gesicht mit einem Make-up-Entferner, den Iris ihr gekauft hatte. Immer wieder strich sie mit dem Wattebausch über ihre Haut und musterte kritisch die winzigen Unreinheiten, die zum Vorschein kamen. Schließlich drehte sie sich um und fragte:
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