Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
ich mir meiner Sache nicht so sicher. Jetzt lassen Sie mich endlich arbeiten und warten Sie im Büro«, sagte Josiane derart schroff, dass Henriette Grobz gehorchte und in ihrem steifen, roboterhaften Gang davonging.
Auf der Schwelle drehte sie sich noch einmal um und drohte Josiane mit dem Finger.
»Ich bin noch nicht fertig mit Ihnen, meine kleine Josiane. Sie werden noch von mir hören, und wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf: Fangen Sie schon mal an, Ihre Sachen zu packen.«
»Das werden wir ja noch sehen, meine Gute. Mir sind schon schlimmere Giftspritzen als Sie untergekommen, und bis jetzt hat mich noch keine kleingekriegt. Schreiben Sie sich das ruhig hinter die Ohren, falls unter Ihrem hässlichen Hut noch Platz dafür ist!«
Sie hörte, wie die Tür zu Chefs Büro zugeschlagen wurde, und lächelte zufrieden. Die alte Ziege kocht vor Wut! Ein Punkt für mich. Seit sie einander zum ersten Mal die Hand geschüttelt hatten, war der Zahnstocher für sie ein rotes Tuch. Sie hatte sich angewöhnt, in ihrer Gegenwart niemals den Blick zu senken. Herausfordernd sah sie ihr immer direkt in die Augen. Ein Duell zweier unerbittlicher Xanthippen. Die eine dürr, faltig und griesgrämig, die andere lebhaft, rosig und rund. Und beide gleichermaßen halsstarrig!
Sie wählte die Nummer ihres Bruders, um herauszufinden, wann die Beerdigung stattfinden sollte, wartete einen Moment, es war besetzt, wählte erneut und wartete wieder. Könnte sie mich wirklich vor die Tür setzen?, fragte sie sich unvermittelt, während sie dem Tut-Tut im Hörer lauschte. Könnte sie das wirklich …? Vielleicht schon. Männer sind ja solche Feiglinge! Er würde einfach sagen, dass er mich irgendwo anders unterbringt. In einer Filiale. Und dann wäre ich weit
weg von der Zentrale. Weit weg von allem, was ich mit so viel Geduld aufgebaut habe und das jetzt kurz davor ist, sich endlich auszuzahlen. Tut-Tut … Ich muss aufpassen! Tut-Tut … Nicht dass mich der gute Marcel mit seinen schönen Reden einlullt und ich doch noch übern Tisch gezogen werde!
»Hallo, Stéphane, hier ist Josiane …«
Ihre Mutter sollte am kommenden Samstag auf dem Friedhof ihres Heimatdorfs beerdigt werden, und in einer plötzlichen Anwandlung von Sentimentalität beschloss Josiane hinzufahren. Sie wollte dabei sein, wenn man sie in die Erde hinabließ. Sie musste mit eigenen Augen sehen, wie ihre Mutter für immer in einem großen schwarzen Loch verschwand. Dann würde sie sich von ihr verabschieden können, ihr vielleicht, vielleicht leise zuflüstern können, dass sie sich so sehr gewünscht hätte, sie lieben zu können.
»Sie will eingeäschert werden …«
»Ach ja …? Warum das denn?«, wollte Josiane wissen.
»Sie hatte Angst davor, im Dunkeln wieder aufzuwachen …«
»Das kann ich verstehen.«
Meine kleine Maman hat Angst im Dunkeln. Unerwartet durchströmte sie doch noch ein Anflug von Liebe zu ihrer Mutter. Und wieder kamen ihr die Tränen. Sie legte auf, putzte sich die Nase und spürte plötzlich, wie sich eine Hand auf ihre Schulter legte.
»Was ist denn los, Choupette?«
»Es ist wegen Maman: Sie ist gestorben.«
»Und deshalb bist du traurig?«
»Ja … schon.«
»Na, komm her …«
Chef hatte die Arme um ihre Taille gelegt und sie auf seinen Schoß gezogen.
»Leg die Arme um meinen Nacken und lass dich einfach gehen … so, als wärst du mein Baby. Du weißt doch, wie gern ich ein Kleines gehabt hätte, ein kleines Baby nur für mich.«
»Ja«, schniefte Josiane und schmiegte sich enger an ihn.
»Du weißt, dass sie mir nie eins schenken wollte.«
»Umso besser, wenn man’s recht bedenkt…«, entgegnete Josiane und putzte sich die Nase.
»Und darum bist du alles für mich … Meine Frau und mein Baby.«
»Deine Geliebte und dein Baby! Deine Frau sitzt nämlich gerade in deinem Büro und wartet auf dich.«
»Meine Frau!«
Chef sprang auf, als hätte ihn jemand mit einem rostigen Nagel in den Hintern gestochen.
»Bist du sicher?«
»Wir haben uns etwas in die Haare gekriegt …«
Bestürzt rieb er sich den kahlen Schädel.
»Ihr habt euch gestritten?«
»Sie hat mich provoziert, und das hab ich mir nicht gefallen lassen!«
»Ach, du dickes Ei! Ausgerechnet jetzt, wo ich ihre Unterschrift brauche! Ich hab’s geschafft, den Engländern diese lausige Niederlassung anzudrehen, du weißt schon, die in Murepain, die ich schon längst loswerden wollte … Jetzt muss ich sie erst mal wieder beruhigen!
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