Die Gelehrten der Scheibenwelt
wir es feststellen können, ist die Tatsache, daß es rekursiv geworden ist. Ebenso wie es eine Banane entdecken kann, kann es darüber nachdenken, wie es eine Banane entdeckt. Es kann über seine eigenen Denkprozesse nachdenken. Es ist ein Gerät zur Mustererkennung, das seine Aufmerksamkeit seinen eigenen Mustern zugewandt hat. Diese Fähigkeit ist es, die hinter der menschlichen Intelligenz steckt. Sie liefert wahrscheinlich auch die Grundlage für das Bewußtsein: Eins der Muster, die das Gerät zur Mustererkennung zu erkennen gelernt hat, ist es selbst . Es ist sich seiner selbst bewußt geworden.
Im Ergebnis funktioniert das Gehirn auf mindestens zwei Ebenen. Auf einer reduktionistischen Ebene gibt es Netzwerke von Nervenzellen, die einander unglaublich komplexe, aber letzten Endes bedeutungslose Botschaften senden – wie Ameisen, die um einen Ameisenhaufen herumwimmeln. Auf einer anderen Ebene gibt es die Gesamtheit des Ichs – den Ameisenhaufen als eigenständige Persönlichkeit. Douglas Hofstadters Gödel, Escher, Bach enthält eine Passage, wo Tante Colonia (die ein Ameisenhaufen ist)* [ * Die Tante Colonia der deutschen Ausgabe von 1985 hieß in Hofstadters Original Aunt Hillary – noch ein Anklang an anthill . – Anm. d. Übers. ] Besuch von Dr. Ameisenbär bekommt. Bei der Ankunft von Dr. Ameisenbär geraten die Ameisen in Panik – sie verändern ihre Tätigkeiten. Für Tante Colonia, die auf der emergenten Ebene funktioniert, repräsentiert diese Veränderung das Wissen , daß Dr. Ameisenbär eingetroffen ist. Sie hat überhaupt nichts dagegen, wenn Dr. Ameisenbär sich an »ihren« Ameisen gütlich tut. Ameisen sind praktisch unerschöpflich – sie kann allemal neue züchten, um die verspeisten zu ersetzen.
Der Zusammenhang zwischen den Ameisen und Colonias ›Anthilligenz‹ ist emergent – er funktioniert glücklich quer über das hinweg, was wir ›Ameisenland‹ genannt haben. Dieselbe Tätigkeit hat eine Bedeutung für die Ameisen und eine ganz andere und transzendente für Colonia. Setzen Sie für Colonia sich selbst – Ihr Ich, von dem ›Sie‹ empfinden, daß es Ihre Gedanken hat – und für die Ameisen Hirnzellen ein, und Sie betrachten den Zusammenhang zwischen Geist und Gehirn.
Jetzt sind Sie selbstreferent geworden.
Neurale Netze sind der Grundstoff des Gehirns, aber zur Evolution eines Gehirns gehört mehr, als nur große neurale Netze zu knüpfen. Hirne funktionieren in Begriffen von ›Modulen‹ auf hoher Ebene – ein Modul zum Laufen, ein weiteres zum Erkennen von Gefahr, wieder eins, um das ganze Tier zu alarmieren, und so weiter. Jedes solches Modul ist eine emergente Eigenschaft eines komplexen neuralen Netzwerks, und es ist nicht konstruiert worden: Es hat sich entwickelt. Millionen Jahre haben diese Module trainiert , unverzüglich und genauestens zu reagieren.
Die Module sind nicht voneinander getrennt. Sie benutzen Nervenzellen gemeinsam, überschneiden sich, sie sind nicht unbedingt ein genau umrissenes Gebiet im Hirn – ebensowenig, wie ›Vodafone‹ ein genau umrissenes Gebiet des Telefonnetzes ist. Daniel Dennett zufolge gleichen sie einer Ansammlung von Dämonen, die per ›Pandämonium‹ fungieren. Sie alle schreien, und wer im jeweils gegebenen Moment am lautesten schreit, gewinnt (ein großer Teil des Internet hat diesen Entwurf übernommen).
Die Menschheit hat eine Kultur rings um diese Module errichtet – eine Idee, die wir später untersuchen wollen – und hat sie dabei neuen Zwecken dienstbar gemacht. Das Modul zum Entdecken von Löwen ist teilweise zum Modul für die Lektüre von Scheibenweltromanen geworden. Das Modul zur Wahrnehmung von Körperbewegungen hat sich teilweise in eins für bestimmte Arten von Mathematik verwandelt – jene Teile der Mechanik, wo ein körperliches ›Gefühl‹ für das Problem genau das Richtige sein kann. Unsere Kultur hat unseren Geist umgebaut und unser Geist seinerseits unsere Kultur, immer wieder in jeder Generation.
Solch eine radikale Umstrukturierung muß einfachere Vorläufer haben. Ein entscheidender Schritt zum menschlichen Geist war die Erfindung des Nests. Ehe es Nester gab, konnten sehr junge Organismen nur sehr beschränkte Verhaltensexperimente anstellen. Wenn man jedesmal, wenn man ein neues Spiel ausprobiert, von einer Python verschluckt wird, wird Neuheit nicht belohnt. In der Geborgenheit und relativen Sicherheit des Nests hingegen ist der Irrtum-Teil von Versuch und Irrtum nicht mehr
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