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Die Gelehrten der Scheibenwelt

Die Gelehrten der Scheibenwelt

Titel: Die Gelehrten der Scheibenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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oft ein noch schlimmeres Problem, den Kulturkonflikt. Sie sind in dem ›neuen‹ Land aufgewachsen und haben aufgenommen, wie dieses Land funktioniert. Sie sprechen die Sprache viel geläufiger, als es ihre Eltern jemals können, aber sie müssen es immer noch ihren Eltern recht machen . Zuhause müssen sie sich auf die Art ihrer ursprünglichen Kultur verhalten. In der Schule aber müssen sie in der neuen Kultur leben. Das bereitet ihnen ein Gefühl des Unbehagens, und das kann die kulturelle Rückkopplungsschleife auf-brechen. Ist sie erst einmal durchbrochen, werden Teile der Kultur nicht mehr an die neue Generation weitergegeben: Sie fallen aus dem ›Menschen-Baukasten‹ heraus.
    In diesem Sinn haben wir die Extelligenz nicht unter Kontrolle. Sie hat sich daraus gelöst, als sie sich selbst zu reproduzieren begann: Extelligenz, die dazu benutzt wurde, (Teile von) Extelligenz zu kopieren.
    Der entscheidende Schritt war die Erfindung des Buchdrucks. Vor der Schriftsprache wurde Extelligenz mündlich weitergegeben. Sie lebte noch im Geist von Menschen: Es war das, was die weisen Männer und Frauen des Dorfes, die alten Leute, wußten. Und solange die Extelligenz im Gedächtnis von Menschen wohnte, konnte sie nicht wachsen, da ein Mensch nur eine bestimmte Menge im Gedächtnis behalten kann. Als man Dinge aufschreiben konnte, dehnte sich die Extelligenz ein wenig aus, doch auch die Menge dessen, was man von Hand niederschreiben kann, ist begrenzt. Und es kann sich nicht sehr weit ausbreiten. Daher erhält man meistens Dinge wie die ägyptischen Monumente – die Geschichte eines bestimmten Herrschers, seine größten Schlachten, Auszüge aus dem Buch der Toten …
    Eine andere wichtige, aber sichtlich alltägliche Funktion der Schrift in der menschlichen Gesellschaft sind Steuern, Rechnungen, Besitzstände. Sie klingen langweilig im Vergleich zur Liste der Schlachten, aber eine wachsende Gesellschaft braucht etwas Besseres als das Gedächtnis eines alten Mannes, um festzuhalten, ›wem was gehört‹ und ›wer wieviel bezahlt hat‹. Die Liste war eine große Erfindung.
    Mit dem Buchdruck kam die Möglichkeit, Information viel weiter und in Massen zu verbreiten. Wenige Jahre nachdem sich der Buchdruck in Europa etabliert hatte, gab es fünfzig Millionen Bücher, also mehr Bücher als Menschen. Drucken war damals ein sehr langsamer Vorgang, aber es gab eine Menge Druckerpressen, und man konnte alles verkaufen, was man druckte, also gab es eine Menge Anreize für das Gedeihen des Buchdrucks. Und dann setzte die Komplizität erst richtig ein, denn was auf einem Stück Papier steht, kann zurückkommen und einen in die Wade beißen. Die Herrscher brachten zum Schutz ihrer eigenen Position verfassungsmäßige Rechte und Pflichten zu Papier: Wenn erst einmal auf dem Papier steht, daß der König bestimmte Rechte und Pflichten hat, kann man später darauf zurückkommen und es als Argument verwenden.
    Was die Könige zunächst aber nicht erkannten, war die Tatsache, daß sie mit der Niederschrift ihrer Rechte und Pflichten implizit ihren eigenen Handlungsspielraum einschränkten. Die Bürger konnten ebenfalls lesen, was geschrieben stand. Sie konnten feststellen, wenn ihr König sich plötzlich Rechte oder Pflichten zuschrieb, die nicht auf dem Papier standen. Die ganze Wirkung der Gesetze auf die menschliche Gesellschaft änderte sich, als man die Gesetze niederschreiben und jeder, der zu lesen vermochte, sehen konnte, was Gesetz war. Das bedeutete natürlich nicht, daß sich die Könige immer ans Gesetz hielten , doch es bedeutete, daß jeder davon wußte, wenn sie sich nicht daran hielten. Das hatte große Auswirkungen auf die Struktur der menschlichen Gesellschaft. Ein untergeordneter Aspekt davon ist, daß wir immer nervös zu werden scheinen, wenn jemand etwas niederschreibt …
    An diesem Punkt begannen Extelligenz und Intelligenz komplizit zu wechselwirken. Sobald eine Wechselwirkung komplizit wird, kann kein Individuum sie steuern. Man kann Dinge in die Extelligenz hinausschicken, doch man kann nicht vorhersagen, welchen Einfluß sie haben werden. Was draußen ist, wächst auf eine Weise, in der Menschen als Mittler wirken können, aber die Buchdrucker beispielsweise druckten die Bücher größtenteils unabhängig vom Inhalt. Anfänglich verkaufte sich alles Gedruckte.
    Alle Worte hatten Macht. Geschriebene Worte jedoch hatten viel mehr Macht. So ist es noch immer.
    Bisher haben wir von der Extelligenz

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