Die Gelehrten der Scheibenwelt
gesprochen, als sei sie ein einziges, einheitliches äußeres Ding. In gewissem Sinn ist sie das, wirklich wichtig aber sind die Schnittstellen zwischen der Extelligenz und dem einzelnen. Dies ist eine sehr persönliche Rückkopplungsschleife: Wir begegnen Teilen der Extelligenz, die von unseren Eltern ausgewählt wurden, von den Büchern, die wir lesen, von unseren Lehrern und so weiter. So funktioniert der Menschen-Baukasten, darum haben wir kulturelle Vielfalt. Wenn wir alle auf dieselbe Menge von Extelligenz auf genau dieselbe Art reagieren würden, wären wir alle gleich. Das ganze System würde plötzlich zu einer Art Monokultur, statt multikulturell zu sein.
Die menschliche Extelligenz macht gegenwärtig eine Phase außerordentlich starker Expansion durch. Viel mehr wird möglich . Die Schnittstellen, die man zur Extelligenz hatte, waren immer sehr berechenbar: Eltern, Lehrer, Verwandte, Freunde, das Dorf, der Stamm. Dies ermöglichte es, daß Zusammenballungen bestimmter Arten von Subkulturen gedeihen konnten, und zwar in gewissem Grad unabhängig von den anderen Subkulturen, weil man nie von ihnen hörte . Ihre Weltsicht wurde immer gefiltert, ehe sie zu einem gelangte. In Die Auserwählte beschreibt Iain Banks eine seltsame schottische religiöse Sekte und Kinder, die in dieser Sekte aufwachsen. Obwohl manche Mitglieder der Sekte in Wechselwirkung mit der Außenwelt stehen, sind die einzigen wichtigen Einflüsse auf sie die Vorgänge innerhalb der Sekte. Sogar am Ende der Geschichte hat die Heldin, die in die Außenwelt gegangen und auf verschiedenste Weise mit ihr in Wechselwirkung getreten ist, einen und nur einen Gedanken im Kopf – Führerin der Sekte zu werden und weiterhin die Ansichten der Sekte zu verbreiten. Dieses Verhalten ist typisch für menschliche Zusammenballungen – bis die Extelligenz dazwischenkommt.
Die heutige Extelligenz hat keine einheitliche Weltanschauung wie eine Sekte. Sie hat eigentlich überhaupt keine Weltanschauung. Die Extelligenz ist im Begriff, ›multiplex‹ zu werden – ein Konzept, das der Science Fiction-Autor Samuel R. Delany in Imperiums-Stern eingeführt hat. Simplex-Geister haben eine einzige Weltanschauung und wissen genau, was alle tun sollten. Komplexe Geister akzeptieren die Existenz verschiedener Weltanschauungen. Multiplexe fragen sich, wozu eine Weltanschauung in einer Welt widerstreitender Paradigmen überhaupt gut ist, finden aber einen Weg, trotzdem zu agieren.
Jeder, der es nur will, kann ins Internet gehen und eine Webseite über UFOs einrichten, die jedem, der zu dieser Seite gelangt, sagt, daß UFOs existieren – sie sind im Weltraum, sie kommen auf die Erde, sie entführen Menschen, sie stehlen ihre Babys … Das alles tun sie, und es steht unumstößlich fest, weil es im Internet ist .
Ein prominenter Astronom führte ein öffentliches Gespräch über andere Planeten und die Möglichkeit von Außerirdischen. Er legte den wissenschaftlichen Standpunkt dar, irgendwo in der Galaxis könnten intelligente Außerirdische existieren. Da meldete sich jemand aus dem Publikum und sagte: »Wir wissen , daß es sie gibt: Sie stehen überall im Internet.«
Andererseits kann man zu einer anderen Internet-Seite gehen und eine völlig andere Ansicht finden. Im Internet ist die gesamte Vielfalt von Ansichten vertreten oder kann zumindest vertreten sein. Es ist ziemlich demokratisch; die Ansichten der Dummen und Leichtgläubigen haben ebensolches Gewicht wie die Ansichten der Leute, die lesen können, ohne die Lippen zu bewegen. Wenn Sie glauben, der Völkermord an den Juden habe sich in Wirklichkeit gar nicht zugetragen, und wenn Sie laut genug schreien und eine gute Webseite entwerfen können, dann können sie sich dort mit Leuten beharken, die der Meinung sind, die geschriebene Geschichte sollte irgendwie mit den Tatsachen zusammenhängen.
Wir müssen mit der Multiplexität zurechtkommen. Wir ringen gerade jetzt mit dem Problem: Darum ist die Weltpolitik plötzlich viel komplizierter als bisher geworden. Antworten sind rar, doch eins scheint klar zu sein: Mit starrem kulturellen Fundamentalismus kommen wir nicht weiter.
FÜNFUNDVIERZIG
Das Heulen geht weiter
Die Extelligenz erblühte schneller, als HEX zusätzlichen Raum schaffen konnte, damit sie zu verstehen war. Sie erreichte die Meere, dehnte sich über die Kontinente hinweg aus, verließ die Oberfläche der Welt, wob Gespinste am Himmel, erreichte den Mond … und zog noch weiter, während die
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