Die Geliebte des Kosaken
massierte seinen Arm und verfluchte den Petersburger Winter, der den Tag auf wenige, kurze Stunden reduzierte. Seine einzige zeitliche Orientierung war die Kanone, die jeden Mittag um zwölf Uhr von der Naryschkin-Bastion abgefeuert wurde, heute musste es schon einige Stunden her sein, denn es war jetzt stockdunkel in seinem Zimmer, und der Wärter schien anderes zu tun zu haben, als ihm eine Laterne zu bringen.
Die Aussichten waren mehr als trübe, denn Kaschubow hatte nach mehreren Verhören durchblicken lassen, dass er entschlossen war, seinen Gefangenen so bald wie möglich verschwinden zu lassen. Er hatte das Gold nicht wieder herbeigeschafft – also bestand auch von Kaschubows Seite keinerlei Verpflichtung. Wenn nicht noch ein Wunder geschah, würde er, Andrej, verurteilt und hingerichtet werden.
Andrej hing an seinem Leben, aber mehr als den Tod fürchtete er Nataljas Verzweiflung, denn er wusste genau, dass sie sich vorwarf, ihn selbst in diese Lage gebracht zu haben. Er würde sterben, er würde die geliebte Frau, die er endlich für sich gewinnen konnte, niemals wieder sehen und berühren dürfen – das war bitter genug. Aber Natalja würde weiterleben müssen, und er wusste, dass der Kummer sie nie mehr loslassen würde.
Die schlurfenden Schritte des Wärters waren zu hören, gleich darauf rasselte der schwere Schlüsselbund, und die Tür wurde aufgeschlossen. Der Wärter war ein Mann in mittleren Jahren, besaß ein breites Gesicht mit schmalen Augenschlitzen, sein Haar war filzig und von undefinierbarer Farbe.
„Der Gefangene Dorogin. Mitkommen.“
Er band ihm umständlich die Hände zusammen und ließ ihn vorausgehen, um ihn im Auge zu haben. Die engen Treppen mündeten in einem düsteren Flur, der nur von einer einzigen, fast niedergebrannten Fackel spärlich beleuchtet wurde. In Andrejs Hirn kreisten die wildesten Vermutungen. Hatte Kaschubow am Ende vor, ihn still und heimlich zu beseitigen?
„Stehen bleiben!“
Andrej gehorchte, und für einen Augenblick schätzte er seine Chancen ab, durch den Flur davonzulaufen, sich in einer Nische zu verbergen und ungesehen den Ausgang zu erreichen. Es war ein schwachsinniger Plan, aus der gut bewachten Peter-und-Paul-Festung entkam so schnell kein Gefangener.
Hinter ihm wurde eine Tür geöffnet, er hörte die Meldung des Wächters, der jetzt mit demütiger Stimme redete und vor Ehrfurcht stotterte, dann forderte man ihn auf einzutreten.
An der Türschwelle prallte er verblüfft zurück. Er hatte Kaschubow erwartet, flankiert von einigen Soldaten, doch stattdessen saß dort ein älterer Mann, in einen Mantel mit Pelzkragen gekleidet.
„Sie haben mir einige Mühe gemacht, Dorogin“, sagte Fürst Berjow und lächelte ihn an, als sei er einer seiner allerbesten Freunde.
„Das tut mir aufrichtig leid, Fürst“, gab Andrej zurück, ohne das Lächeln zu beantworten.
„Nun, wie es aussieht, sind Sie einem Betrüger aufgesessen, der inzwischen seiner gerechten Strafe zugeführt wurde“, fuhr Berjow fort, der sich in seiner guten Laune nicht stören ließ. „Kaschubow hat versucht, sich Ihrer zu bedienen, um einen Goldtransport aus Sibirien an sich zu bringen. Man hat den Polizeichef von Perm dazu verhört, dessen Aussage von zwei Männern der Geheimpolizei bestätigt wurden. Unser Zar war zutiefst entsetzt von dieser hinterhältigen Tat – Kaschubow steht inzwischen unter Hausarrest.“
Andrej starrte den Fürsten an und versuchte zu begreifen, welches Spiel jetzt gespielt wurde. War es tatsächlich so gewesen, dass Kaschubow das Gold nicht für den Zaren, sondern für sich selbst hatte haben wollen? Oder hatten die Spitzel Sergej und Ossip die Beschuldigung nur erfunden, um ihre Haut zu retten? Vermutlich würde man den wahren Sachverhalt niemals aufklären – sicher war nur eines: Der schlaue Berjow hatte seine Intrigen gesponnen, um seinen Feind zu Fall zu bringen, und es war ihm gelungen. Kaschubow war erledigt, Fürst Berjow wieder in der alten Machtposition.
„Ich bin zwar keineswegs davon überzeugt, dass die junge Dame dieses Mal den Richtigen erwählt hat“, hörte er Berjow näseln, „aber da ich ihr wichtige Informationen verdanke und auch die Freundschaft meiner lieben Elisaweta Antonowna nicht verlieren möchte: Sie sind frei, Dorogin.“
Er gab dem Wächter einen Wink, worauf der Mann herbeistürzte und Andrejs Fessel löste. Andrej rieb seine Handgelenke und verspürte statt Erleichterung nichts als Ärger. Auch die nächste
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