Die Geliebte des Piraten
ihr gegenüber in der Nähe des Schreibtisches. Willa drehte sich, um das Bett in Augenschein zu nehmen, dessen hölzernes Kopfteil, das die Form einer Ananas nachbildete, die blaue Decke, die Seidenlaken. Wie auf dem Diwan eines Sultans türmten sich Kissen auf dem Bett, samtweich und mit Quasten geschmückt, deren Stoff mit Gold- und Silberfäden durchwirkt war. Auch auf der Bank und auf dem Boden vor dem Schreibtisch lagen sie verstreut, und ohne es zu wollen, tauchten erregende Bilder vor Willa auf – ineinander verschlungene Körper, seine großen Hände, die sie streichelten …
»Um Himmels willen.« Sie richtete sich abrupt auf, um diese sinnverwirrenden Gedanken zu verdrängen, und schwang die Beine über die Bettkante.
Nun gut. Ganz offensichtlich war er ein erfolgreicher Pirat. Ein Räuber erster Güte. Und für Willa trug die Legende sein Gesicht. Der Schwarze Engel. Allein schon der Name beschwor Tod und Zerstörung herauf, und ein Anflug von Furcht kroch ihr den Rücken hinauf. Und doch fiel es ihr schwer zu glauben, was ihr über diesen Mann zu Ohren gekommen war, besonders, nachdem er ihr das Leben gerettet hatte. Sie sah wieder das Gesicht des toten Offiziers vor sich und zugleich damit kamen ihr die schrecklichen Geschichten und Gerüchte in den Sinn, die man sich über den Schwarzen Engel erzählte. Nächtliche Überfälle, bei denen zahllose Seeleute hingemordet oder ausgesetzt wurden. Man sagte, er ließe als Erstes stets die Aufbauten des in sein Visier geratenen Schiffes zerstören, damit es dem Feuer seiner Kanonen nicht mehr entkommen konnte. Bislang hatte niemand diesen berüchtigten Piraten dingfest machen können. Und es waren Gerüchte im Umlauf, dass es mehr als nur dieses eine schwarze Schiff gab.
Jeder Kapitän der East India Company war auf der Jagd nach diesem Piraten, und die hohe Belohnung, die von der Krone auf seinen Kopf ausgesetzt worden war, lockte Hunderte von Jägern auf die Meere, die sich diesen Preis holen wollten. Der Gedanke an Raidens Kopf, aufgespießt auf einer Lanze, drehte Willa den Magen um. Er war ein Gesetzloser, ein skrupelloser Räuber, dem der Tod auf den Fersen war. Wenn er seinen Lebensunterhalt durch Verbrechen bestritt, würde er dann auch käuflich sein und sich dazu bringen lassen, sie an Land zurückzubringen? Unwillkürlich stellte Willa sich diese Frage. Sie musste von hier fort und ihren Sohn suchen. Sie musste es. Und kein noch so gut aussehender Pirat der Welt würde sie davon abhalten. Viele Worte und keine Aussicht auf Gelingen, dachte sie. Sie war Raidens Gefangene. Geraubtes Beutegut und nichts anderes. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was er jetzt, da niemand da war, um ihn aufzuhalten, mit ihr tun würde. Und die Angst, dass er sie seinen Männern überlassen würde, war geradezu niederdrückend.
Willa verließ das Bett und suchte ihre Schuhe zusammen. Resigniert setzte sie sich auf die kleine gepolsterte Bank. Das Schiff segelte mit einer unglaublichen Geschwindigkeit dahin, entfernte sich mit jeder Sekunde weiter von der Küste und raubte Willa damit jede Chance auf ihre Freiheit. Wenigstens hatte sie die Voraussicht gehabt, für Rajanis Wohlergehen zu sorgen, obwohl sie vermutete, dass das Mädchen sich noch immer beunruhigen würde. Seufzend griff sie nach einem der Kissen und barg das Gesicht in dessen kostbarem Stoff. Sofort hatte sie das Gesicht ihres kleinen Sohnes vor Augen, seine dunkelroten Locken, seine pausbäckigen Wangen. Dann wieder sah sie ihn schwach und schmutzig und hungrig vor sich, laut nach ihr weinend, die Hände nach ihr ausgestreckt, und die hilflose Verzweiflung, die sie spürte, ließ Willa in heiße Tränen ausbrechen.
Mommy kommt dich holen, mein Liebling. Ich schwöre es dir. Ich werde dich holen.
Tristan stand mit dem Rücken gegen die Reling des Achterdecks gelehnt und sah seinen Kapitän eindringlich an. Der Wind zerrte an Raidens Hemdsärmeln und zersauste ihm das Haar. Tristan fragte sich, warum dieser Mann es sich nie zurückband. Beschämenswert nachlässig, stellte er im Stillen fest und dachte, dass er Raiden eigentlich Besseres gelehrt hatte. »Sie haben das Recht zu erfahren, was du mit ihr vorhast.«
Raiden schaute zu den Männern, die sich auf dem unteren Deck versammelt hatten. »Ich bin mir der Regeln bewusst, Quartermeister Dysart.«
Tristan lächelte, als er die Anspannung in Raidens Gesicht und in dessen Stimme bemerkte, denn der Mann gestattete es seinen Emotionen höchst
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