Die Geliebte des Piraten
einige Sekunden, ehe sie wieder zu ihm hinüberspähte. Raiden sprach jetzt den Kapitän an, und seine Stimme hatte einen harten Klang.
»Bittet Ihr um Gnade?«
»Niemals«, entgegnete der englische Kapitän.
»Ich habe nichts anderes erwartet«, bemerkte Raiden resigniert und wandte sich von ihm ab. »Er wird ausgesetzt. Überlasst das Schiff den Männern.«
Der Kapitän griff Raiden hinterrücks an, doch als habe er damit gerechnet, fuhr er herum. Die Klinge seines Schwertes drang dem Engländer in die Brust. Raiden fluchte. Willa wurde schlecht, als er die Klinge herauszog und der Mann zu Boden fiel. Ehe man sie entdecken und sie in Ungnade fallen würde, schlüpfte Willa in die Kabine zurück. Dort ließ sie sich auf die Polsterbank fallen und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen, während sie darum betete, das Schiff möge endlich aufhören zu schaukeln. Nach einer Weile hob Willa den Kopf, und ihr Blick fiel auf die Szenerie jenseits der Fenstergalerie.
Drei Schiffe dümpelten im Wasser, und jedes von ihnen war so schwarz wie der Grund des Ozeans. Flackernder Laternenschein war das Einzige, was ihre Anwesenheit verriet. Willa kniete sich auf die Bank und legte die Hände trichterförmig gegen die Scheibe, um besser erkennen zu können, was dort draußen vorging. Die Galionsfigur des am nächsten liegenden Schiffes stellte einen Wassermann dar, der den rechten Arm ausgestreckt hatte und ein Schwert hielt. Die Sea Warrior. Nun, es war kein Wunder, dass die Männer der East India Company so gut wie keinen Schaden genommen und es nur wenige Tote in ihren Reihen gegeben hatte, ehe sie sich ergeben hatten. Willa richtete sich auf und bewunderte im Stillen Raidens Vorgehen. Selbst wenn er mit nur einem Schiff angriff- bei Nacht waren die Schiffe so gut wie nicht erkennen.
Nachdenklich zog Willa die Augenbrauen zusammen. Warum, so fragte sie sich, gewährte Raiden diesen Seeleuten Zuflucht? Wenn eine Schiffsbesatzung gefangen genommen wurde, war das Aussetzen durch die Piraten ein bekannte Sache. Die Geschichten, die über den Schwarzen Engel in Umlauf waren, sagten, dass er noch nie jemanden am Leben gelassen hätte. Doch das Geschehen, dessen Zeuge sie geworden war, deutete auf das genaue Gegenteil hin. Das Pressen von Männern zum Dienst in der Marine war eine übliche Methode und nach Willas Meinung ein schreckliches Vergehen. Die Behandlung, die diesen Männern widerfuhr, war verabscheuungswürdig. Sie mussten oft viele Jahre Schreckliches erdulden, während ihre Familien, denen man den Ernährer gestohlen hatte, wirtschaftliche Not litten. Augenscheinlich hatte sich der Kapitän der East India Company wenig um das Wohlergehen seiner Schutzbefohlenen gekümmert. Konnte es sein, dass Raiden die East India Company einerseits bestahl und andererseits diese geschundenen Männer dabei rettete? Hatte sie ihn falsch beurteilt?
Diese Überlegungen waren kein großer Trost für Willa, denn sie war entschlossen, Raiden nicht zu mögen – vielmehr brauchte sie die Gewissheit über seine scheußlichen Verbrechen, um sie als Schutzwall gegen das Verlangen zu benutzen, dass sie empfand, sobald sie diesen Mann auch nur ansah. Er war ein Dieb – ungeachtet der mitfühlenden Gesten. Er führte Krieg gegen die Krone. Nun, sie räumte ein, dass diese Tatsache sie nicht sonderlich störte. Sie störte sie nicht, weil sie mit Alistar verheiratet war, und weil die East India den Handel beherrschte und damit ihren Vater so gut wie an den Bettelstab gebracht hatte.
»Kommt nie wieder ohne meine Erlaubnis an Deck.«
Willa fuhr herum, und die rasche Bewegung verursachte ihr einen heftigen Kopfschmerz. Sie stöhnte und massierte sich die Stelle zwischen den Augen. Sie glaubte jedes einzelne Haar zu spüren. Und jetzt war Raiden auch noch wütend auf sie. Großartig.
»Ist es nötig, so zu schreien?«, flüsterte sie.
»Habt Ihr mich verstanden?« Er betrat die Kabine und warf die Tür so heftig zu, dass die Wand wackelte. »Euer Haar kann man meilenweit sehen, und es wäre ein ausreichender Grund, einen Angriff zu provozieren. Wir sind noch nicht außer Gefahr. Englische Schiffe segeln immer im Zweierverband.«
Sie hatte nicht daran gedacht und nickte, während sie sich langsam von der Bank erhob. Ihr Blick blieb an seiner blutbespritzten Weste hängen. Auch sein Schwert war blutbefleckt. »Ihr seid unverletzt.«
Raiden folgte ihrem Blick und wünschte, sie hätte es nicht gesehen, wünschte, sein Leben wäre
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