Die Geliebte des Piraten
und Raiden stieß einen tiefen Seufzer aus. Er öffnete die verletzte Hand und rieb sich mit der anderen das Gesicht. »Ich hatte keine Wahl, denn man steigt nicht in den Rang eines Kapitäns auf, ohne einen hohen Preis dafür zu zahlen. Besonders nicht unter Piraten.«
Meuterei, Gemetzel. Verbrannte Schiffe und immer wieder auf der Flucht um sein Leben, dachte sie, als sie einen weichen Stoffstreifen um seine Hand wickelte. Ein solches Leben hatte er geführt, ein Leben voller Grausamkeiten, und doch hatte er sich einen Rest von Liebenswürdigkeit bewahrt. Über welche Stärke musste er verfügen, all dieses nicht nur erduldet und überlebt, sondern darüber triumphiert zu haben! »Wie ist es Euch gelungen, so viele Schiffe zu bekommen?«
»Ich bin gut im Stehlen.«
»Etwas genauer möchte ich es schon wissen.«
»Wollt Ihr es wissen, um mich zu verraten?«
So viel zu ihrer freundlichen Einschätzung Raidens. Es würde sie lehren, in seiner Gegenwart auf der Hut zu sein, und darauf zu achten, dass die Anziehung, die sie spürte, sie für seine Fehler nicht blind machte. Denn augenscheinlich waren diese zahlreich. »Wer würde der Geliebten eines Piraten schon glauben? Wenn ich von hier fortgehe, ist mein Ruf ruiniert.«
Fortgehen. Das Wort traf ihn tief und löste ein Gefühl der Verlassenheit in ihm aus. »Nicht, wenn niemand weiß, wo Ihr gewesen seid.«
Willa verknotete den Verband und seufzte leise. »Das würde nichts ändern. Ich werde vermisst, und Barkmon weiß inzwischen, wie ich verschwunden bin. Man wird mich entweder als das bedauernswerte Opfer des Handstreichs eines Piraten ansehen oder als entehrte Frau. Barkmon war noch nie sonderlich diskret.«
»Euer Liebhaber würde Euch verunglimpfen?«
Ihr Lächeln wirkte verkniffen. »Sollte dieser Mann mich jemals anfassen, würde er genau von diesem Augenblick wie eine Frau singen.«
Raiden war zumute, als sei ihm eine Last von den Schultern genommen worden. »Warum habt Ihr mich dann in dem Glauben gelassen?«
»Ihr wolltet es glauben. Außerdem ging es Euch nichts an. Ebenso wenig wie es Euch jetzt etwas angeht.« Als Willa aufstand, spürte sie, wie sich ihr Magen hob. Rasch trug sie die Schüssel zum Waschtisch zurück. Sie tauchte ein Tuch in das Wasser und betupfte sich damit die Stirn und die Lippen, während der Rum, den sie am Abend getrunken hatte, in ihrem Magen rumorte. Dann versuchte sie, die Blutflecken von Raidens Handabdrücken aus ihrem Kleid zu waschen. Doch zusammen mit denen von Tristans Verletzung waren es zu viele.
»Ihr geht mich sehr wohl etwas an, Geliebte. «
Ihre Blicke begegneten sich, als Raiden aufstand. Der schwache Moment ist also vorüber, dachte Willa, und die Schlachtlinien sind wieder gezogen.
»Sowohl jetzt wie später, wenn Ihr von hier fort seid«, sagte Raiden. »Selbst was Ihr vor Eurer Anwesenheit auf diesem Schiff getan habt, kann eine Bedrohung für mich sein.«
»Barkmon ist keine Bedrohung für Euch.« Mit einer heftigen Geste warf sie das Handtuch in die Waschschüssel. »Der Admiral ist es.«
Raidens Rücken spannte sich an, klar und hart lag sein Blick auf Willa.
»Er will seinen Rachedurst am legendären Schwarzen Engel stillen.«
»Er ist nur einer von vielen, die den Preis ergattern wollen, der auf meinem Kopf ausgesetzt ist.«
»Und der steigt mit jedem Monat, der verstreicht, weil Eure Kaperungen die Preise für die Gewürze hochtreiben.«
Raiden zuckte gleichmütig die Achseln. »Dann wird man eben mehr davon ernten. Und ich werde mir noch mehr nehmen.«
»Und schadet damit nicht nur der Royal East India, sondern auch anderen.« Sein Blick schien sich zu verhärten. »Denkt Ihr denn überhaupt nicht an die Händler, die die Gewürze nur noch zu überteuerten Preisen kaufen können?« Wie mein Vater, dachte sie, damit er überleben kann, habe ich Alistar geheiratet. »Und an die Menschen, die sie brauchen und sie sich nicht leisten können?«
Sie reagiert ziemlich heftig, dachte Raiden und runzelte die Stirn. »Welche Auswirkungen das auf ein paar Köche hat, darüber kann ich mir nicht den Kopf zerbrechen. Es ist die Royal East India, die dem Gewürzhandel einen Riegel vorschiebt.«
Und mich in einer Ehe eingesperrt hält, ging es Willa durch den Sinn, und sie war versucht, ihm zu sagen, welche Tragweite sein Handeln und das der East India hatten. Doch sie würde sich nicht selbst erniedrigen, nur um sein Mitgefühl zu gewinnen. »Ihr seid reich – warum macht Ihr weiter mit der
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