Die Geliebte des Piraten
könnte noch Glas darin sein.«
»Das kümmert mich nicht.«
»Doch, das kümmert Euch.« Sie wandte sich ab, um eine Schüssel, einen Krug mit Wasser und Tücher zu holen. »Spätestens dann, wenn die Wunde sich entzündet hat und Ihr Eure Hand verlieren werdet.« Sie stellte alles auf dem Tisch bereit und wies auf den Stuhl. Mit spürbarem Zorn ließ Raiden sich darauf sinken. »So seid Ihr ein braver Junge.«
»Behandelt mich nicht so herablassend, Frau!«
»Und Ihr schreit mich gefälligst nicht an!«
Sie starrten sich an. Willa hatte die Hände in die Hüften gestemmt, während Raiden sie anfunkelte, als wollte er sie in einem Stück verschlingen. Sie lenkte als Erste ein, indem sie ihm mit einem Seufzen das Haar aus dem Gesicht strich und die Hand über seine Schläfe und seine Wange gleiten ließ. Der Ausdruck in seinen Augen wurde sofort sanfter, und Willa spürte, wie tief in ihr etwas geschah.
Raiden wollte sie fortstoßen, doch der Aufruhr in ihm bettelte um ihre Berührung, nach etwas Weichem und Sanftem in seiner hässlichen Welt. Er griff eine Hand voll ihres Rockes und zog sie zwischen seine gespreizten Schenkel.
Diese intime Haltung löste einen ungeahnten Sinnestaumel in Willa aus. »Ihr blutet auf mein Kleid.«
Auch meine Seele blutet, dachte Raiden und fragte sich, wann dieser Schmerz aufhören würde. Wann würde der Tag gekommen sein, an dem er Gerechtigkeit finden würde? Wie viele Jahre würden noch vergehen, bis er schlafen konnte, ohne dass die Träume ihn heimsuchten und er ohne Zorn aufwachen konnte? Wie lange könnte er dem widerstehen, was sich in ihm regte, wenn diese Frau in seiner Nähe war? Seine Hände umschlossen ihre Taille, und er zog Willa näher. Er sehnte sich danach, ihre Wärme zu spüren. Und sie erfüllte diese Sehnsucht, als sie sich zu ihm herunterbeugte und ihn auf die Stirn küsste.
Raiden schloss die Augen, und der Griff um ihre Taille wurde fester. Er empfand keine Verwunderung über Willas Geste, er wusste nur, dass er den sanften Trost gebraucht hatte, der darin gelegen hatte. Er wollte sie auf seinen Schoß ziehen und sie küssen, doch die Besessenheit, die seine Seele noch immer gefangen hielt, warnte ihn davor, es zu tun, um Willa nicht wehzutun. Und als ob sie darum wüsste, richtete sie sich auf und wandte sich von ihm ab.
Sie beugte sich über den Tisch und ergriff Raidens Hand, die sie in die Waschschüssel legte und mit Wasser übergoss. Dann hielt sie sie ins Licht und entfernte die Splitter aus der Wunde. Als hätte er sie nicht so eng gehalten, als spürte sie den Abdruck seiner heißen Hände nicht auf ihren Hüften. Als ob er in jenem Augenblick mehr von ihr gewollt hätte als Informationen und ihren Körper.
»Erzählt mir davon, Raiden«, unterbrach Willa das seltsame Schweigen zwischen ihnen. »Ich bin hier und höre zu.«
Er zögerte. Seit Jahren hatte er nicht mehr darüber gesprochen. »Ich war ein englischer Seemann. Man hat mich schanghait, als ich gerade zehn Jahre alt war.«
»Ein Kind noch«, sagte Willa mit zittriger Stimme.
»Aber nicht mehr lange«, stieß Raiden hervor. »Kinder, alte Männer, Familienväter – für die Engländer zählten nur die Körper, um die Schiffsbesatzungen zusammenzukriegen. Wenn einer von uns starb, warfen sie ihn einfach über Bord und beschafften Ersatz – wie man eine Schüssel oder einen Kessel ersetzt.« Er fluchte und strich sich das Haar zurück.
»Das ist schrecklich grausam.«
»Ich flüchtete, als ich fast siebzehn war.«
Sieben Jahre war er in den Marinedienst gepresst gewesen. Sieben Jahre der Qual. Kein Wunder, dass er so voller Hass war. Kein Wunder, dass er die Seeleute befreit hatte.
»Wohin seid Ihr dann gegangen?« Willa saß auf dem Stuhl neben ihm, ihre Aufmerksamkeit auf seine Hand gerichtet.
»Zuerst nach Siam, später nach Java.«
»Und seid Pirat geworden?« Sie goss einen Schwall Wasser über sein Hand und trocknete sie dann behutsam ab.
»Nicht gleich. Ich lebte einige Jahre friedlich und zufrieden.« Wie blind starrte Raiden auf seine Hand. Er zuckte zusammen, als die leiderfüllten Erinnerungen wieder lebendig wurden. »Dann wurde ich wieder schanghait und …« Er schluckte. Noch einmal durchlebte er, was geschehen war. Das Gewehrfeuer in nächster Nähe, das Blut, die Schreie, die ihn bis an sein Lebensende quälen würden. Bis er sich wünschen würde zu sterben.
»Raiden, öffnet Eure Hand.«
Er blinzelte und sah Willa an. Sie hatte die Stirn gerunzelt,
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