Die Geliebte des Piraten
India Company war nur noch ein verkohlter Fetzen Stoff. Auf dem Deck verstreut lagen tote Seeleute, hingen wie zerrissene Lumpenpuppen über den heißen Geschützrohren. Der durchdringende Geruch von brennendem Fleisch erfüllte die Luft. Willa drohte sich der Magen umzudrehen, und sie schloss hastig das Fenster, starrte durch die Scheibe auf das, was dort draußen geschah.
Raiden stand mit gezogenem, blutbeflecktem Schwert inmitten des Gemetzels, während seine Männer die Ladung der Weston auf die Renegade schafften und in deren Rumpf verstauten. Willa beobachtete die Männer dabei, wie sie grobmaschige Netze schleppten, in denen sie Truhen transportierten, oder Fässer mit verblüffender Mühelosigkeit über die Laufplanken trugen, die man von einem Schiff zum anderen ausgelegt hatte. Wie Willa feststellte, wirkte der Kapitän des gekaperten Schiffes keineswegs erfreut über diese Plünderung. Wider Willen musste Willa beim Anblick des Mannes lächeln. Die gepuderte Perücke saß ihm schief auf dem Kopf, sein dunkelblauer Mantel war blutbefleckt und zerrissen, seine gegerbten lohfarbenen Hosen waren über und über von Ruß geschwärzt. Trotz seiner Verwundung wütete und wetterte er gegen Raiden, und Willa meinte zu hören, wie ihm ein arrogantes »Das wird Euch den Kopf kosten«, aus seinem Munde kam. Der englische Kapitän war klein und stämmig und ganz und gar das Gegenteil von Raiden. Willa konnte nicht umhin zu bemerken, welch faszinierendes Bild der Schwarze Engel bot. Unerschütterlich stand er da und sah aus, als gehörte ihm die ganze Welt. Er trug eine Weste aus glänzendem Leder, die ihm bis über die Hüften reichte, und in dem breiten Gürtel, der seine Taille umschloss und seine imposante Statur noch unterstrich, steckten Pistolen und Messer. Der Wind peitschte sein langes dunkles Haar und zerrte an den weiten Ärmeln seines ebenholzschwarzen Hemdes, die dunkle Hosen saß so eng wie eine zweite Haut. Willas Puls schlug bei seinem Anblick schneller, und sie verglich ihn mit dem unbezwingbaren, unbesiegbaren Engel des Todes, der gekommen war, um seinen Anteil an den Seelen der Menschen zu fordern. Und zu wissen, dass er sie in den Armen gehalten und leidenschaftlich geküsst hatte, machte sie auf ein nahezu sündige Weise schwach. Er beherrschte jeden ihrer Sinne, auch wenn sie es nicht wollte.
Er erteilte Befehle, während er dem Kapitän das Schwert auf die Brust gesetzt hielt, und durch die Rauchschwaden konnte Willa erkennen, dass die Männer der Weston sich bemühten, das Feuer auf ihrem Schiff zu löschen. Willa runzelte die Stirn. Die Gerüchte hatten zu berichten gewusst, dass der Schwarze Engel stets die Masten und Aufbauten der gekaperten Schiffe zerstören ließ, um keine Zeugen für seine Taten zurückzulassen. Aber wie es schien, hatte sich die Mannschaft der Weston fast vollzählig an Deck versammelt. Würde Raiden sie gefangen nehmen, um ein Lösegeld für sie zu erpressen? Oder würde er so grausam sein und alle hinrichten lassen?
Ungewissheit und Empörung erfüllten Willa. Nein, Raiden, bitte nicht, dachte sie. Das wäre Mord. Sie sah, dass er ganz allein vor die Männer trat und sogar das Schwert sinken ließ, das er bis jetzt auf den Kapitän gerichtet hatte, während er zu den Männern der Weston sprach.
Willa fühlte eine übermächtige Neugier in sich aufsteigen. Entschlossen zog sie den Morgenmantel fester und schlich sich aus der Kabine hinauf aufs Deck. Um nicht gesehen zu werden, drückte sie sich eng gegen die Wand. Sie ließ den Blick über das Deck der Renegade gleiten. Ein paar der Männer waren damit beschäftigt, die Beute in den Schiffsrumpf hinunterzulassen, und Balthasar kümmerte sich um einige Verwundete. Für eine solche Schlacht überraschend wenige Opfer, dachte Willa und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Raiden zu.
»Trefft eure Wahl jetzt«, hörte sie ihn sagen. Welche Wahl? Den Tod? Ausgesetzt zu werden? Einige der gefangen genommenen Männer liefen daraufhin zu Raiden. Sie alle waren schlecht genährt und gingen in Lumpen. Zwei der Männer stützten sich gegenseitig beim Gehen. Raidens Gesicht wirkte wie erstarrt vor Zorn, als er den Männern zunickte und diese an ihm vorbei und an Bord der Renegade gingen. Er sah jeden Einzelnen von ihnen aufmerksam an, und einmal schien sein Blick abzuschweifen und sich auf Willa zu richten. Sie zuckte zurück. Er kann mich nicht gesehen haben, dachte sie, trotz des Feuerscheins ist es viel zu dunkel. Sie wartete
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