Die Geliebte des Sonnenkönigs (German Edition)
trotzdem ihr Stiefvater darauf hielt, dass die Töchter dem Beispiel der Prinzessinnen von Orléans folgten und sich mit den Tagesereignissen auf vertrautem Fuß hielten. Louises fantastisches Köpfchen aber hatte wenig Sinn, weder für Politik noch für andere Dinge, die der Mitwelt wichtig scheinen.
Heute, da sie allein war — Rosalie, der es die Marquise zur Pflicht gemacht, in der Jugendgespielin fortan nur die Herrin zu respektieren, speiste allein auf ihrem Zimmer — nahm sie aus Mangel an besserer Gesellschaft das Blatt zur Hand. Finanzangelegenheiten, wirtschaftliche Abhandlungen, Kriegsfragen! Schon wollte sie die Zeitung gelangweilt wieder aus der Hand legen, als ihr am Ende der ersten Seite der Name des Königs ins Auge fiel. Aufmerksam fing Louise zu lesen an. Es war von einem Jagdritt Louis' XIV. nach Fontainebleau die Rede.
„Wie Augenzeugen melden, scheute auf dem Wege nach Fontainebleau das Pferd eines Bauernwagens infolge des raschen Rittes und des Glanzes der königlichen Suite. Der König parierte sein Pferd, stieg als Erster aus dem Sattel, fiel dem hoch aufbäumenden Tier des vor Schreck fassungslosen Bauern in die Zügel und führte es seitwärts an den Waldrand, wo das Tier sich alsbald beruhigte. Der Bauer erhielt ein ansehnliches Geldgeschenk als Pflaster für den ausgestandenen Schrecken. Man sieht, unser ritterlicher König versteht es, galant und liebenswürdig nicht nur gegen schöne Frauen zu sein.”
Louises blaue Augen leuchteten. Ihre Fantasie spiegelte ihr die kleine Szene mit allerhand buntem, romantischem Beiwerk wider. Sie sah den jungen König als Helden eines Abenteuers, das er mit eigener Lebensgefahr bestand.
Aber wiederum geschah es ihr, dass sie sein körperliches Bild nicht festhalten konnte. Bald sah sie Louis als heiligen Georg mit der Lanze gegen den Drachen kämpfen, bald als Achill mit goldenem Helm, bald als gewöhnlichen Sterblichen in der Gestalt irgendeines gleichgültigen Edelmannes, der ihr da oder dort einmal begegnet war.
Sie schob die kaum angerührten Speisen beiseite und grübelte gesenkten Hauptes. Als ihr Blick dabei auf das weiße Päckchen Bragelonnes fiel, das noch immer ungeöffnet geblieben und das Rosalie ihr mit leiser Mahnung neben das Obstkörbchen gelegt, nahm Louise es mechanisch in die Hand und erhob sich von ihrem einsamen Sitz an dem großen Tisch.
Sie wollte in ihr Schlafzimmer hinaufgehen, das neben dem der Freundin lag. An der Treppe kehrte sie wieder um. Sie fühlte, sie würde noch keinen Schlaf finden können.
In dem Halbdunkel des schwach erleuchteten Flurs verfehlte sie den Eingang zu dem kleinen Gemach, aus dem sie gekommen war. Schwer und größer war die Tür, die sie aufstieß. Sprachlos blieb Louise auf der Schwelle stehen.
Vor ihr tat sich ein hell erleuchteter Raum auf, augenscheinlich für ein Fest geschmückt. Eine reich dekorierte Tafel, silbernes Gerät, Armleuchter und Fackelständer, in denen eine Menge von Wachskerzen brannten.
Plötzlich stockte ihr Fuß. Geblendet schloss sie für einen Augenblick die Augen. In die Querwand eingelassen, gerade der Stelle gegenüber, an der sie stand, sah sie ein Gemälde, das ihr den Atem stocken machte.
Was waren alle Fantasiegebilde, die sie sich geschaffen, gegen dieses Abbild der Wirklichkeit! Hoch aufgerichtet stand des Königs elastisch majestätische Gestalt, von einem silbern blinkenden Harnisch umschlossen, über den ein breites, blaues Ordensband lief. Über die Schultern fiel wallend ein blauer, goldbestickter Mantel, von goldenen Schnüren gehalten. Die leuchtenden Augen in dem schönen, jungen Gesicht sahen gerade aus, als ob sie mit ihrem Siegerblick die Louises treffen wollten.
Mit gefalteten Händen stand das Mädchen da. Das weiße Päckchen Bragelonnes war ihren Händen entfallen, sie bemerkte es nicht. Tiefer und tiefer versenkte sie sich in das schöne, herrische Antlitz, das ihr Entzücken und Furcht zugleich einflößte.
Der laute Anruf ihres Namens weckte sie aus ihrem traumhaften Zustand. Rosalie stand hinter ihr. Sie sah nicht nach dem Bilde, nur nach ihrem Fräulein, das sie im ganzen Haus vergebens gesucht hatte.
„Es ist spät, Fräulein von La Vallière”, mahnte die kleine Gilbert mit ihrer lustigen Stimme.
Als das Fräulein sich nicht rührte, trat Rosalie ganz nahe zu ihr hin. Dabei bemerkte sie das weiße Päckchen auf dem Boden. Die Kleine schalt ärgerlich vor sich hin und nahm es an sich. Und da das Fräulein noch immer wie
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