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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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mit Schuhen und Strümpfen und allem. Und wenn er, was später immer häufiger vorkommen sollte, betrunken oder zugedröhnt oder beides war, dann endete die Geschichte so, dass er sie auf seinen Armen aus dem Wasser trug, am Ufer auf den Sand bettete und hingebungsvoll küsste. Es war das erste Mal, dass er sie sah, schwor er dann und verriet keinem, dass er sie schon Wochen vorher an einer Straßenecke entdeckt hatte, wartend, wie so viele. Sie sollte eine Seejungfrau sein und kein Straßenmädchen. Er bestand auf der Wunderbarkeit der Geschichte, als es schon längst nichts Wunderbares mehr gab in seinem Leben, selbst dann noch erzählte er lallend von Ricky, von seinem
deutschen Fraulein,
und je elender er selbst wurde, umso herrlicher wurde die Geschichte. Davon wusste Ricky natürlich nichts. Sie wusste nichts von der Zukunft, denn die war ihr längst gleichgültig. Oder mindestens unvorstellbar. Das mischte sich gelegentlich. Sie wusste nur, dass vor ihr der Junge stand, der sie vor ein paar Wochen so angestarrt hatte, als sei sie das siebte Weltwunder, und nun fand sie ihn noch jünger aussehend als damals, noch schmaler und so schön, wie sie es selbst gern gewesen wäre. Ein Bild von einem Jungen. Und ohne nachzudenken, fuhr sie ihm mit den Fingerkuppen der linken Hand ganz leicht über die Wange.
     
    |67| Der Wannsee blieb ihr Revier. Sie trafen sich ein paar Tage später wieder dort. Allein, ohne Dick und Moni. Sie redeten nicht viel und waren verwirrt und glücklich, weil sie spürten, dass sie sich keine Erklärungen geben mussten. Die Gesprächigkeit der Menschen ist ja meist nichts weiter als ein unstillbarer Drang, sich zu rechtfertigen, und damals hatte Chesney Baker noch nicht viel Grund dafür. Später, wenn er seine Ehefrauen, wenn er Halima und Carol nächtelang quälen sollte mit seinen endlosen Tiraden, die untergingen im Alkoholgenuschel, würde das anders sein. Dann würde er ihn brauchen, diesen Dauerton seiner eigenen Stimme. Dann würde ihm sein Trompetenklang, sein eigener, ganz persönlicher Sound nicht mehr reichen. Dann ertrug er die Stille nicht mehr. Dann musste er die Leere füllen durch sein Gebrabbel.
    Aber noch lag sein Leben weiß und glatt und leicht vor ihm, und neben ihm ging dieses Mädchen. Wie unvorstellbar mager sie war! Sie trug eine Art Leibchen über der kurzen Turnhose, das war ihre Badekleidung, und aus den Shorts stakten diese erschreckend dünnen Beine. Er schaute immerfort auf die Beine, von den Oberschenkeln abwärts, denn diese Beine verjüngten sich nach unten keineswegs gleichmäßig, sondern waren so dünn, dass die Knie knubbelig daraus hervorragten. Wenn sie ihn beim Gehen zufällig berührte, ihr Arm an seinen stieß, dann spürte er die Knochen. Er sorgte dafür, dass sie öfters aneinanderstießen. Er wartete auf den Knochenklang.
    Er nahm ihre Hand in seine. Ihre Hand war klein und hart wie die eines Jungen, der in der Lage ist, ein Huhn zu köpfen. Der Junge wusste nicht, ob Ricky dazu in der Lage war, aber er fühlte mit dem Daumen die Schwielen an ihrer Handfläche. Es waren schon viele Menschen im Wasser. Sie tasteten mit den Füßen herum, als fürchteten sie, jederzeit auf etwas Unangenehmes |68| zu stoßen. Dabei waren die Leichen aus dem Wannsee geborgen worden, längst, bevor der Badebetrieb wieder freigegeben worden war. Am Ufer freilich fand sich noch das eine oder andere deutsche Soldatengrab. Die Männer, die beim Kampf um Berlin hier gefallen waren, waren einfach an Ort und Stelle begraben worden. Zunächst hatten die Amerikaner den See beschlagnahmt und begonnen aufzuräumen. Dann erlaubten sie den Anwohnern, ihre geliebte
Badewanne
wieder zu benutzen. Und seit diesem Frühjahr waren das Wannseebad und der Strand endlich wieder für alle freigegeben.
    Eine Dicke blätterte in einer Zeitschrift und sonnte sich. Der Mann neben ihr kraulte ihr den Rücken. Zwei Kinder beobachteten sie und kicherten. Hinter dem Liebespaar war ein einfaches Birkenkreuz in den Sand gerammt, und daran hingen drei Helme. Der Junge blieb vor dem Grab stehen. Er betrachtete die kümmernden Blumen, die irgendjemand um das Birkenkreuz gepflanzt hatte. Ricky stand still neben ihm und wartete. Sie sagte nichts. Sie zog ihn nicht weiter. Sie war nicht wie die Frauen, die unaufhörlich redeten, um jede Beklommenheit wegzuplappern.
    Mit ihr, das begann er zu begreifen, würde er die Dinge anders sehen als vorher – und wenn schon nicht die Dinge, dann doch wenigstens

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